INDIO GRIS

EINPERSONEN-ZEITSCHRIFT ZUR ANSAMMLUNG VON MÜLL
Nr. 6 JAHR 2000, DONNERSTAG, 6. JULI
ES FUSIONIERT, LEITET, SCHREIBT UND VERANTWORTET: MENASSA 2000

WIR KÖNNEN ZWAR NICHT SPRECHEN, DAFÜR TUN WIR'S IN MEHREREN SPRACHEN
SPANISCH, FRANZÖSISCH, ENGLISCH, DEUTSCH,
ARABISCH, PORTUGIESISCH, ITALIENISCH, KATALANISCH



INDIO GRIS IST PRODUKT
EINER FUSION
DER GLANZ DES GRAUS
UND
DER INDIANER AUS DER JARAMA
DIE ZUKUNFTSTRÄCHTIGSTE FUSION 
JAHRHUNDERTS

Indio Gris


INDIO GRIS NR.6

1

Ich bin glücklich, ohne mich zu bewegen, nur die Welt bewegt sich.
Ich bin ein glücklicher Spinner.

2

Mich mit der Freude des bereits gegebenen zufrieden zu geben, heisst einen Schritt voranzugehen.

3

Jedes Verlangen nach Armut muss kraftvoll bekämpft werden, und die Armut wird verschwinden.

4

Das Energiezentrum wird in einigen Tagen wieder in Ordnung sein, danach ist alles nur noch Grandezza. Grosse leere Seiten der Geschichte befleckt mit meinen Versen.

5

Es gibt eine Freiheit, die bei jedem Abschienehmen entsteht.
Schneeaugen, Patina der Zeit, vor dem Licht.

6

Wie soll vermittelt werden, was nicht buchstabengetreu ist.
Stilgetreu, das heisst, irgendeine der Angewohnheiten des Wortes.

7

In Wirklichkeit ist das Leben nicht zu lösen.
Das Leben wird erlebt, erlitten, das ist alles.
Um ein bisschen glücklich zu sein, bedarf es ausser dem Leben anderer Dinge.

8

Die Psychoanalyse existiert nicht für sich, wenn es nicht ein psychisches Wesen gibt, das sie zulässt.

Der Psychoanalytiker hat mit diesem Punkt wenig zu tun.

9

Ich muss das Projekt klar definieren können, und dann wird alles relativ einfach sein.

10

Seit ein paar Tagen empfinde ich eine emotionale Überbelastung, hingegen eine bedeutende Erleichterung in wirtschaftlicher Hinsicht.

11

8. Juli 1991, Arganda del Rey

Gestern haben sie Pablo festgenommen, weil er mit dem Motorrad einem Haltegebot der Guardia Civil entwischt war. Er bekam schwere Handschellen. Einfach brutal, ohne schwerwiegende Folgen. Ein paar Quetschungen, aber es hätte tödlich ausgehen können.

Als ihm gelückt war zu entwischen, stellte er sich, dachte daran, dass das Motorrad zurückgeblieben war, und weil das Motorrad ihm gehörte und nichts unrechtes tat, kehrte er um.

Die Guardia Civil stellte sich der Himmel weiss was vor, warf ihn zu Boden, trat ihm drei- oder viermal in die Brust, sie beleidigten ihn ein wenig, dann legten sie ihm Handschellen an und zielten mit einer Pistole auf ihn.

Der Schreck des Jungen war brutal.

Ich weiss nicht, ob ich auf den Horror warten soll, um ihn zu haben.

12

Ich muss akzeptieren, dass das Geld mit seinem ganzen Blödsinn über mich hergefallen ist. Ausserdem jedoch muss ich wissen , dass das Geld jeden Begriff, jede Wirklichkeit veroberflächlicht.

13

Ich bin Ausländer, um irgendetwas machen zu können, muss ich meine Sachen in Ordnung haben. Meine Papiere, meine Steuern, in Ordnung. Und so wird es mir gelingen, nicht vollständig zu fallen.

Und sollte mich jemand nach meinem Heimatland fragen, werde ich antworten, dass ich meine Steuern in Spanien bezahle. Das müsste dann mein Land sein, werde ich sagen.

14

Auge geöffneten Lichts, verliebtes.

Weit entfernt von mir begegne ich erneut dem Wesen der Nacht.

15

JAHR 1991, MONAT JULI

Eine Philosophie des Geniessens wird allmählich absolut notwendig, jenseits des 50. Lebensjahres.

Irgendetwas wurde erreicht, und das also sollte wirklich genossen werden.

Von der Arbeit erwarte ich nicht mehr als das, was ich schon verdient habe. Die restliche Arbeit werde ich nach und nach abkassieren, sobald sie fertig ist.

16

ICH BIN DER SOLDAT AUF DEN DU WARTETEST
ICH HABE KEINE RICHTUNG NOCH VERGANGENHEIT, POESIE
ICH BIN HIER, BEI DIR, FÜR IMMER.

17

Und so schmiedet sich langsam die psychoanalytische Zukunft:
Rausch des vergänglichen Ortes. Ich steige dir nach, um dich danach zu verlassen. Bestialisch.

18

JAHR 1991, 22. AUGUST

In den 15 Exiljahren in Spanien, habe ich 13 Bücher veröffentlicht, ich könnte eigentlich ganz zufrieden sein.

19

Ein Psychoanalytiker sollte wenigstens diesen Anschein geben.
Wer nicht diesen Anschein gibt, wenn er spricht, ist es nicht.

20

So muss ich schliesslich damit aufhören, die Zeit zu denken und muss das Geld denken, das seinerseits auch psychisch ist.

21

Zugegeben, ich hatte Glück, wenigstens dreimal. Ohne dieses Glück wäre alles schlimmer gewesen.

Mein erstes Glück war, meine Psychoanalyse mit 18 zu beginnen.

Mein zweites Glück war, mich der Psychoanalyse zu verschreiben.

Mein drittes Glück war, niemals die Poesie zu verlassen.

22

Sahst du die brennende Farbe, die ich in den Augen hatte.
Ich war verliebt.
Ich liebte dich so wie wenn die Hände des Untergangs
sich dem Gedicht hingeben.

23

Ich bin kein Riese mehr,
der aus den Bergen kommt.
Auch nicht der vibrierende Vogel,
der das Nichts durchflog.

Ich komme aus dem gewöhnlichen Leben
dem alltäglichen Opium.
Ich komme aus dem Hunger und dem Überfluss
aaus dem ureigensten Zentrum der Liebe.
Ich bin nicht sehr streng
nicht einmal nachgiebig
ich richte mich eher
unsichtbar im Leben ein.

Nichts erfasst mich, nichts ereiche ich
und vom Menschlichen bleibt mir:
tot umfallen hier
einen Punkt setzen.

24

WILL ICH NICHT SEHEN
BEHINDERE ICH DEN WEG DES VERSTEHENS
MAL GRUNDSÄTZLICH ICH MÖCHTE NICHT AUFHÖREN

25

Diesmal entferne ich mich vom Gewöhnlichen, dem Armseligen, auch nähere ich mich nichts.

26

Die Zahlen lassen sich kombinieren, das Rechnen funktioniert.

Ohne Schuld, ohne Gewissensbisse. Die Frucht ist herangereift durch den rechtzeitigen Regen, ohne Zusätze.

27

Er fällt immer hin, kleiner Cherubin, demnach zählt das Hinfallen nicht.

28

Heute werde ich 51. Heute beginnt die zweite Hälfte meines ersten Lebensjahrhunderts, und ich kann sagen, ich habe erreicht, was man so erreicht, und ich habe nicht erreicht, was man nicht erreicht.

Ich habe Kinder und Liebesbeziehungen und Ketten und Sorgen, und ich habe das alles verdient.

Ausserdem, habe ich Verse und Tränen für die in diesem Jahrhundert gescheiterte Revolution.

Und doch verstand ich, angstvoll, das es immer fällt, obgleich wir uns erheben.

29

Ich muss der Sache ganz auf den Grund gehen.
Niemand kann die Kinder anderer hüten, wenn es sich nicht um eine Institution handelt, die sich darum kümmert.
Also bis zur Volljährigkeit überlasse ich die Kinder niemandem mehr, es sei denn einer Institution, die sich darum kümmert: Schule, Gymnasium, Stadtverwaltung, Kirche.

Ich verstehe jedoch, wenn ich mich in der Sache auf Äste hinaus lasse, komme ich nie auf den grünen Zweig.

30

DER INDIANER AUS DER JARAMA.
AUSGABEN 1992-1997.

                          AUCH DAS IST EIN BUCH

ES GESCHAH NIE
ES EREIGNET SICH NICHT
ES IST NUR ZU LESEN

31

29. September 1991

Ein Anlageplan ist für mich - und das muss ich begreifen - ist ein Arbeitsplan.

Da sind einige Konten, aber ich fühle mich wie eine Wetterfahne von hier nach da, je nach Richtung, Stärke der Winde.

Ich sollte ein bedeutendes Schiff sein können, das im Voraus bestimmt, wann es ablegt, hält, damit die Winde, ihre Stärke und ihre Richtung an Bedeutung verlieren.

Hinter dem Geld liegt immerhin noch eine sehr grosse Welt zum Denken.

Kleine Asteroide, erbarmunslos hinauskatapultiert, erfüllen die Nacht mit Glühwürmchen.

32

Heute habe ich mich dazu entschlossen, 40 Jahre länger zu leben als ich eigentlich vorhatte.

Meine Immobilienanlagen können warten.

Wenn ich mich weiterhin verweigere, wird etwas zerbrechen.

Der Garten des Dichters ist meine eigene Seele, im Moment brauche ich keinen anderen Garten.

33

WO SIND DIE WIRBELSTÜRME, DIE ICH BEZWEUNGEN HABE

34

IN EIN DOGMAFREIES ALTERN

DIE SEELE BLEIBT FALTENLOS

35

Ich kann nicht mit den Gründen einverstanden sein, aus denen heraus ich INDIO GRIS mit Einpersonenzeitschrift zur Ansammlung von Müll überschreibe.

Zeitschrift, weil sie das wirklich sein könnte.
Einpersonen- weil ich sie persönlich schreiben würde

Ansammlung von Müll spielt darauf an, dass alles Material aus unveröffentlichten Schriften stammt, Manuskripte von 1976 bis heute, vor allem jene Schriften, von denen niemand weiss, warum sie aus allen vorangegangenen Veröffentlichenungen ausgeklammert wurden.

Die Idee war schon gut, aber ...

Das mit der Zeitschrift ist schon o.k., weil ich davon etwas verstehe, aber das mit dem Einpersonen- das beschämt mich schon ein wenig, weil es sich doch um meine Schriften handelt, und ich sie Woche für Woche mit der Maschine abschreibe, die vielen Leute, die mitarbeiten, um INDIO GRIS möglich zu machen, das ist ungeheuer. 8 Übersetzer und 6 Assistenten, 3 Maschinisten und 2 Korrespondenten und die Mitarbeiter aus der Gruppe 0, das sind insgesamt etwa hundert Leute.

Das heisst Einpersonen-, 'nen Arsch.

Und der Müll, es gibt Müll, weil es unveröffentlichtes Material gibt, aber heute möchte ich das mal so sagen: im INDIO GRIS, wird es Material geben, das bereits vorher veröffentlicht wurde, denn unter diesem veröffentlichten Material gibt es herrliche Schriften, in gewisser Hinsicht auch unübertrefflcihe, auch von mir aber von vielen Anderen.

36

Als Psychoanalytiker zu arbeiten ist im Moment das beste, was ich tun kann, der Rest macht sich von alleine, je nach dem, was kommt.

37

TAG DAVOR

Mittwoch, 5.Juli 2000

Heute bekam ich einen wunderbaren Laptop geschenkt und ich habe versprochen, mich von meiner kleinen Schreibmaschine zu trennen, auf der ich gut und gerne etwa 10.000 Seiten von denen von damals (Holländisch, doppelter Abstand) geschrieben habe. Ich stelle fest, dass ich dazu in der Lage bin, mich von dieser glorreichen Vergangenheit zu trennen, ich werde Zunkunft haben.

38

PRESSE IST MACHT

Einen Gruss und Glückwunsch an die Mitarbeiter der Gruppe 0, die so viel und so gut arbeiten, um uns bekannt zu machen und die Psychoanalyse zu geniessen





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