INDIO GRIS

EINPERSONEN-ZEITSCHRIFT ZUR ANSAMMLUNG VON MÜLL
   NR. 46 JAHR 2001 DONNERSTAG, 12 APRIL
ES FUSIONIERT, LEITET, SCHREIBT UND VERANTWORTET: MENASSA 2001

WIR KÖNNEN ZWAR NICHT SPRECHEN, DAFÜR TUN WIR'S IN MEHREREN SPRACHEN
SPANISCH, FRANZÖSISCH, ENGLISCH, DEUTSCH,
ARABISCH, PORTUGIESISCH, ITALIENISCH, KATALANISCH


INDIO GRIS IST PRODUKT
EINER FUSION
DER GLANZ DES GRAUS
UND
DER INDIANER AUS DER JARAMA
DIE ZUKUNFTSTRÄCHTIGSTE FUSION DES 
21. JAHRHUNDERTS

Indio Gris


INDIO GRIS NR. 46

1

13. April 1980, Madrid

Meine Liebe,

Schon gut, bis hier ging’s mir gut, danach fiel im Verlauf der Nachmittagsstunden alles langsam zusammen.

Ich glaube, ich habe auf diese Weise eine seltsame, für mein Alter sehr seltsame Reise überstanden, jetzt geht es mir wieder gut, es war eine Reise voller Leidenschaften durch die Zahlen. Ich weiss, dass die niedrigste Zahl die Zahl der Not ist, und die höchste Zahl ist unmöglich und das ist eine Grenze, die mir erlauben wird, besser zu leben.

 Dem normalen Leben fehlt es an den notwendigen Eigenschaften auf Grund meiner Persönlichkeit.. Das heibt für mich, im normalen Leben verundurchsichtige ich mich. Wenn mein Geld nur fürs Essen und für die Schulausbildung meiner Kinder reicht, fühle ich mich arm. Wenn mein Wunsch an den Wänden meines Zimmers zum Halten kommt, denke ich, das ist eben kein Wunsch. Manchmal fühle ich mich als anderer Mensch, manchmal fühle ich, wie ich an den kleinen Untugenden des intelektuellen Kleinbürgertums leide.

 Ich habe gewonnen und fühle mich geschlagen, ist eine der Untugenden, an denen das System, das wir in Madrid  erleben, leidet. 

Zum Beispiel auf dem Kongress in Vitoria im Baskenland töteten wir, rissen wir mit, lieben wir alles in die Luft gehen mit der Poesie, und dennoch blieben wir voller Skepsis, Dummheit zurück.

2

 Einem Menschen, der bereits sein Salto Mortale hingelegt hat, tut Schäbigkeit weh, tödlich verletzt sie ihn, die Geistesarmut. Ein paar Augenblicke lang liebe ich die Hoffnungen der Menschen, ein paar Augenblicke lang ekeln mich die armen Hoffnungen der Menschen an. Es gibt Tage, an denen mich alles unterbricht, alles geht mir auf den Geist.

 Jetzt kommt mir gerade der Gedanke, dass die Reise mit dem Spiel nicht so sehr wegen des Spiels sondern wegen der Reise war.

 Ich sprach am Telefon mit meinen alten Herrschaften, es war wunderbar, gefiel mir, ich kam darauf, dass ich eigentlich jeden Monat sprechen  könnte. Als ich mit ihnen sprach, fühle ich mich durch und durch jung. Ich glaube nach diesem Gespräch fing alles an, sich zu verändern. Ich glaube ich fühlte mich befreiter, mehr Herr meiner selbst. Wie Du siehst, ich kann Dir nicht erklären, was mit mir los war nach diesem Gespräch mit meinen Eltern. Zum Beispiel, ich erinnerte mich daran, dass ich schon seit vier Jahren nicht mehr am Meer war, und das tat mir zum ersten Mal weh. Ich glaube, ich habe schlieblich verstanden, warum Papa mit uns nicht ans Meer fuhr. Ich glaubte, ich hätte ein paar der Sinngebungen meines Lebens verstanden. Die Stadt ist weiterhin grau, die Stadt ist weiterhin grau, die Stadt ist weiterhin grau ......

 3

 13. April 1980, Madrid

 Meine Liebe,

 die Spielreise ist zun Ende, wenigstens jetzt, was mir davon blieb, war die Aufregung, seit vier Jahren fühlte ich keine Aufregung mehr, seit vier Jahren empfand ich keine rechte Lebenslust mehr.

 Es ist sehr schwierig, alle 10 Minuten kommt jemand mit irgendeiner Beschwerde und ich höre zu und sage nichts, nicht weil ich schweigen möchte, sondern weil ich nichts zu sagen weib, ich fühle, dass alle, die sich beschweren kommen, Recht haben, wenn ich so weiter denke, werde ich der einzige Verrückte sein.

 Aufgeregt sein ist nicht Verzweiflung zu fühlen, weder Bedrängnis noch irgendetwas Böses, das dir gerade einfällt, aufgeregt sein ist Lebendigkeit zu fühlen, damit anfangen zu denken, dass auch ich essen muss, mich kleiden muss, träumen muss, genieben muss, aufgeregt sein, das heibt, alles ist auch ich.

 Für den Dialog, den ich nötig habe, finde ich keinen Gesprächspartner und das ist auch eine Krankheit. 

Selbstangebauten Tabak zu rauchen, das tut mir immer gut. Ich zünde eine eingenhändig gedrehte Zigarette an, und beim ersten Zug sehe ich zwischen den Schatten, die zukünftigen Tage aufsteigen. Und ich freue mich, diese neue Zukunft mit dieser neuen Leidenschaft, die in mir aufgestiegen ist, angehen zu können, ich weib nicht, ob es daran liegt, dass ich mit grobem Eifer gespielt habe, oder weil ich mit meinen Eltern nach drei Jahren zum ersten Mal  wieder telefoniert habe.

 Vor einer Woche lief meine Aufenthaltsgenehmigung ab und demnächst, in einem Monat läuft mein Pass ab, und ich bin nicht dazu aufgelegt, solche Formalitäten zu erledigen. Nach Buenos Aires zurückzukehren, das würde mir gefallen, aber ich habe Angst davor. Ich weib, dass es eine dumme Angst ist, aber die Menschen leiden normalerweise an dummen Ängsten.

 Ich warte sehnsüchtig auf die Sonne, mit der Zeit werden sie mich entdecken: ich bin ein Formenmensch.

 4

 14. August 1980, Madrid

 Meine Liebe,

 Der Wirbelsturm der Zeit schlägt mir ins Gesicht und es passiert nichts. Ich werde versuchen jung zu bleiben, bis ich nach Buenos Aires zurückkehren kann. Ich weib, dass einige etwas anderes wollen.

 Wann werden wir uns sehen?

 5

 Samstag, 16. August 1980, Madrid

 Ich habe meinen Bart abrasiert und diesmal, zum ersten Mal lieb ich mir einen Schnauzbart stehen. Ich sehe zum Lachen aus. Ich rauche kleine Zigaretten wie kleine Lichtbündel. Ein Universum ist ein Universum und ein anderes Universum ist ein anderes Universum.

 Ich möchte nach Lateinamerika zurückkehren und den stolzen Schmerz spüren, Lateinamerikaner zu sein.

 Manchmal weib ich nicht, was ich schreibe.  Ich fürchte weiterhin immer noch diese Möglichkeit meines Schreibens, mich selbst zu betrügen.

 Es lässt mich nur einen Teil des Gesäten ernten, der Rest gehört allen. 

Als ob wir Tausend wären, die Sex haben.

 Seite um Seite entstehen die Geschichten.

 Manchmal fühle ich, ich bin dabei, die neue Geschichte der Menschheit zu schreiben. Klar, danach überkommt mich ein Überdruss, ein nichtiger Unsinn.

 6

 16. August 1980

 Meine Liebe,

 ich leide an dauerhafter Unbeständigkeit.

 Ein Symptom, frage ich mich, oder eine teuflische Methode gegen meine eigene Daseinsberechtigung.

 Ich versuche, nicht zu haben noch zu sein und klar, ich bin ein wenig orientierungslos.

 Nachdem ich die Abartigkeit jeder Dialektik entdeckt habe, bin ich verzweifelt.

 Schlagartig scheint mir, dass sich hinter jeder mathematischen Formel ein Gott verbirgt.

 Seien wir vorsichtig mit dem, was sich scheinbar wiederholt und dennoch sagt, es sei anders. Wir müssen es wissen, es wiederholt sich.

 7

 Samstag, 19. März 1979, Vatertag

 Meine Liebe,

 Dank, nochmals Dank, der Anruf, um zu hören, wie es uns ergangen ist, war heikel für mich, will sagen heiter.

 Wo werden wir noch hin kommen?

 Ich weib nicht, was mit mir los ist, ich kann nach dem Meine-Liebe-Brief nicht schreiben, alles kommt mir zu dumm vor, zu schlecht geschrieben.

 Sagen wir mal, die spanische Erfahrung, eine Art Einführung in die Welt, tut mir sehr gut.

 Jenseits der Dialektik des Himmels und der Hölle (Sergios Worte, als er von meinem Schreiben sprach), hat sie Grobartigkeit erworben. Mein Körper ist der Körper eines jungen Mannes. Mein Verständnis der menschlichen Phänomene hat für mich unvorstellbare Orte in Buenos Aires erreicht.

 Ich bin die ganze Zeit über glücklich, seit ein paar Tagen ist leben genug.

 Am Erscheinungstag freute ich mich wie ein Irrer, die Leute wollten wissen, worum es ginge, wir sagten kein einziges Wort.

 Der neue Stil wird keine Bewunderer finden. Hingerissene Produzenten oder Feinde.

 Ganz allmählich werden wir die letzte christliche Spur in unserer Lebensweise auslöschen. Es wird keine Anerkennung für diejenigen geben, die das Unmögliche anstreben.

 Ich spreche jede Woche mit 50 Personen, die Leute wissen nicht, was sie tun sollen, sind verzweifelt.

 Wenige Tage nach dem Ereignis des Frühlings in Madrid, küsse ich Dein Herz.

 8

 2. November 1979, Madrid

 Mein Lieber,

 Ein Briefversuch, eine halbe Stunde bevor ich weggehe, um nach einem Patienten zu sehen. Ich bin im neuen Gebäude des Verlags, einem 29. Stockwerk, im was man jetzt so Torre de Madrid nennt.

 Ein dunstiger Morgen und als Hintergrund verschneite, saubere Berge, himmelblau vor dem Himmel selbst.

 Mir ist ein wenig kalt. Ich würde dich gerne sehen, wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen.

 Ich lasse mein Wesen in die Erinnerung hineinfallen, erwärme mich an den Erinnerungen, ungeschickt steige ich ins Nichts auf.

 Mein Lieber, mein Lieber, manchmal frage ich mich, was das Leben, das berühmte Leben, eigentlich mit uns gemacht hat. Auch ich strebe wie alle den Tag der groben Interpretation an. Die Worte, die in die Menschenkette wieder so viel Delirium einführen sollen.

 Ich bin einer, der gerne in Feundschaft lebt. Und dennoch so viel Grausamkeit manchmal, manchmal so viel Dunkelheit. So viel Schatten über dem, was einmal glänzte.

 Mir bleiben nur 15 Minuten, um diesen Brief zu beenden und auch das bringt mich zur Verzweiflung.

 Eine sexuelle Promiskuität, und ich erinnere mich sehr genau dran, war erlaubt  und sogar von allen erwünscht. Andererseits, eine Promiskuität mit dem Geld, tut allen weh und niemand will etwas wissen von dieser Scheisstechnik, die alle Mechanismen auseinander nimmt. Will sagen, dass das Privateigentum, welches der Mensch, unser Mensch nicht mit seinem eigenen Körper fühlen konnte, das fühlt er jetzt mit dem, was sein eigenes Geld schaffen wird.

9

 MENASSA IN BUENOS AIRES
Vom 16. April bis zum 13. Mai.

ERÖFFNUNG DES SIGMUND FREUD SEMINARS

Die Traumdeutung. Leitung: Miguel Oscar Menassa.
19. April in der Schule für Psychoanalyse und Poesie Gruppe 0

 PRÄSENTATION VON BÜCHERN:

• Die Dümmlichkeit von Vampiren Mittwoch
25. April, Museo de Bellas Artes, Avda. Libertador, 1473, um 19 Uhr.
Briefe an meine Frau Freitag
27. April, in der Escuela Grupo Cero, Maipù, 459, 1ª piso, um 21 Uhr
Dialog zwischen dem Irren und dem Dichter Mittwoch
2. Mai, Centro Cultural Rojas, Avda. Corrientes, 2030, um 20 Uhr
Monolog zwischen der  Kuh und dem Sterbenden Freitag
4. Mai – Encore, Rodriguez Peña, um 21 Uhr.

Buchmesse (Predio La Rural)

22. April Zeichnung der Bücher am Stand Nr. 2006/8 der S.A.D.E. um 20 Uhr
29. April Zeichnung der Bücher am Stand nr. 203 der GRUPPE O um 20 Uhr
6. Mai Zeichnung der Bücher am Stand Nr. 203 der RUPPE 0 um 18 Uhr.

Information:
Schule für Psychoanalyse und Poesie Gruppe 0
Maipú 459 1° piso
1006 Ciudad de Buenos aires
 Tel. : 4 328 06 14/ 07 10

10

DIE RINDERKUH WAR IMMER
ETWAS WAHNSINNIG  

MONOLOG ZWISCHEN DER KUH
UND DEM STERBENDEN
Ein Buch von Miguel Oscar Menassa

"Ich habe Verlangen, Esslüste, Hunger auf Jahrtausende, und jetzt wollen sie mich abstillen mit einem Stück Käse, Wucherungen einer Weidekuh, oder die gleiche Kuh mit Stöcken erschlagen und auf dem Tisch zerstückelt, erinnert an alte Rituale, als die Menschen sich einander auffrassen, und das war die Liebe.
              Ich steche erbarmungslos mit meinem Messer gegen das Herz der Kuh, und die Kuh brüllt auf, sie zerreisst sich aus Leidenschaft dem Mörder gegenüber. Und ich, mit der Präzision eines Chirurgen, trenne Fett und Nerven ab und gebe meiner Geliebten einen Bissen von den verkohlten Eierstöcken der Kuh.
              -Wir sind frei, sagt sie zu mir, während sie dem Knirschen ihrer Zähne zuhört und versucht, die verbrannten Teile des Universums zu beugen.
             Danach, schon leichter, indem sie aus allem ein Spiegelbild macht, eine Lüge, meint sie ganz gelöst zu mir:
             In mir lebt eine meisterhafte Kuh, die die ganze Zeit über brüllt und ermordet. Manchmal  tut es ihr anscheinend weh, und dann scheisst sie überall hin, und die wahnsinnig gewordenen Blumen fressen die Essenz der Scheisse auf und wachsen beschleunigt der Zukunft entgegen."

11

EINE LEIDENSCHAFTLICHE LIEBE
EIN GRENZENLOSES BEGEHREN
EINE FRAGLOSE ZÄRTLICHKEIT

Ein Buch von Miguel Oscar Menassa
Für ein besseres Vertragen mit seiner Lebensgefährtin an Feiertagen
Und an dem einen oder anderen Arbeitstag

 

“Dieser Roman ist ein Denkmal an den Wunsch und nicht an seine Befriedigung, und der Wunsch passt weder in Formen noch in Normen.”  

                        Leopoldo de Luis

“Menassa macht aus der Erotik eine wahrhaftige Enzyklopädie der sexuellen Beziehungen”

Juan-Jacobo Bajarlía


Indio Gris