INDIO GRIS

EINPERSONEN-ZEITSCHRIFT ZUR ANSAMMLUNG VON MÜLL
   NR. 36 JAHR 2001 DONNERSTAG, 1 FEBRUAR
ES FUSIONIERT, LEITET, SCHREIBT UND VERANTWORTET: MENASSA 2001

WIR KÖNNEN ZWAR NICHT SPRECHEN, DAFÜR TUN WIR'S IN MEHREREN SPRACHEN
SPANISCH, FRANZÖSISCH, ENGLISCH, DEUTSCH,
ARABISCH, PORTUGIESISCH, ITALIENISCH, KATALANISCH


INDIO GRIS IST PRODUKT
EINER FUSION
DER GLANZ DES GRAUS
UND
DER INDIANER AUS DER JARAMA
DIE ZUKUNFTSTRÄCHTIGSTE FUSION DES 
21. JAHRHUNDERTS

Indio Gris


 INDIO GRIS NR. 36

1

WOCHE VOM 4. BIS 11. JUNI 1976, BUENOS AIRES, beim Vorbereiten des Exils

Mein Lieber:

Heute war ich bei meinem Vater und er sagte mir, dass der Mensch, was immer er auch tue, unzufrieden wäre, es sei daher besser, das zu tun, was weniger Arbeit mache, und wir könnten unter uns mehr Genuss hinzufügen.

Jede Frau ist eine Frau. Was wird dann also gesucht? Vielleicht ein Ort, wo uns jemand Papa nennen kann, ein Mann schließlich, endlich aus ihren Krallen der Zärtlichkeit befreit und von ihrer tödlichen Verstümmelung.

Unsere Verbindung erreicht ihren äußersten Glanz im Wahnsinn des Fleisches. Mit Dir sprach ich meine ersten Worte über das verfluchte und wunderbare Fleisch, das uns fast in den Irrsinn treibt.

Als wir nicht wussten, was wir mit der Liebe anfangen sollten, kündigtest Du Gewalt an, den aufdeckenden, wesentlichen Schlag, das Gedicht. Das Gedicht (ich verstand das so), das endgültig gegen die Liebesbindungen gewalttätig wurde und ihren Weg zum Tod Einhalt gebot, genau im Augenblick des Genusses.

Du und ich, zitterten tausendfach angesichts der Möglichkeit des Horrors.  Mich rettete immer mein Vater   vor allem Grauenhaften, mein Vater, und Dich?

Eine Frau, eine Frau, eine Frau und ich weiss wirklich nicht, was das heißen soll

2

9. Februar 1980

MEINE LIEBE:

Hast du einmal in der Patsche gesessen? Die Patsche, die ich Dir deutlich beschreiben möchte, und ich weiss nicht, ob ich es kann. Die Worte sollen dazu da sein, damit sie sich zu einem unbekannten Universum aufschwingen, aber das reicht nicht aus.

Anscheinend weist alles darauf hin, dass man auch Geld verdienen muss, und ich wusste das bereits, aber manchmal reicht es nicht aus zu wissen. Ich sage nicht, dass ich mich umbringen möchte, aber ich sage, dass ich nicht verstehe. Wenn ich viele unveröffentlichte bechriebene Papiere bei mir daheim habe, werde ich nervös, ich weiss nicht, was ich sein soll: wenn ich Schriftsteller bin, möchte ich schnell veröffentlichen, wenn ich Verleger bin, muss ich wenigstens eineinhalb Jahre warten, nach dem Theaterbuch wird der Verlag  sich mit seinen Aktivitäten zurückhalten müssen und zwar aus zwei Gründen, einmal wirtschaftlich gesehen und zum zweiten weil die Energien, die jetzt im Verlag vorhanden sind, in den psychoanalytischen Bereich überwechseln werden, eine Bewegung mit der Menassa und seine Leute, die diesmal mehrheitlich Frauen sein werden, die zweite Stiftung in Madrid ins Leben rufen werden.

In meinem letzten Brief schreibe ich dir, ich hätte drei fertig geschriebene Bücher und eines, an dem ich schreibe, und ich habe das Gefühl, sie sind wie Goldbarren, und das ist mein Kapital und so gehe ich durchs Leben. Die Bücher heißen, ich weiss schon, dass ich es im letzten Brief erzählte, aber ich möchte es noch einmal erzählen, EL AMOR EXISTE Y LA LIBERTAD. Ein Buch, das ich voll und ganz aus der Gruppenerfahrung Carbonero y Sol heraus schrieb, d.h. ein Buch, das ich zur gleichen Zeit schrieb wie PSICOANALISIS DEL LIDER, und das ich aus weiss ich was für Gründen noch nicht veröffentlicht habe. Die erste Version des Buches schickte ich im November 78 für den Wettbewerb der Casa de las Americas ein, die erste Version hatte 102 Seiten, die zweite Version, wo ich die gesamte Einführung korrigierte und aus dem Buch verschiedene Gedichte strich, schrumpfte auf 63 Seiten, und in dieser Form legte ich es im November 79 beim Wettbewerb Villa de Rota, in Cadiz, vor. D.h. ein Jahr später, im Februar 1980 liegt das Buch, die vier Kopien, die ich für den Wettbewerb einreichte, auf dem Schreibtisch. Bevor ich diesen Brief weiterschreibe, werde ich eine der vollständigen Kopien lesen und sehen, ob ich herausfinden kann, warum dieses Buch nicht ausgezeichnet wurde. Bis später.

Bevor ich ans Lesen gehe, möchte ich Dir schreiben, dass bei mir zu Hause, das Leben eines jeden ganz klar verläuft. Im allgemeinen bin ich länger mit meinen Kindern zusammen, und das, wenn es sich auch unwahrscheinlich anhört, tut mir gut. Javier und Ana Mercedes sind dabei, eine starke Beziehung zu mir aufzubauen. Samstags und sonntags bleibe ich im Winter zu Hause und schreibe, und alle finden es gut, dass ich schreibe (sie kommen in mein Zimmer uns sagen ein paar Worte zu mir, und ich gehe runter zum Essen.) Ich wohne jetzt im oberen Stock und gehe runter, um mit den Kindern eine Sendung anzusehen oder um Musik von einem tollen Plattenspieler zu hören, der bei uns im Esszimmer steht, und ich gehe auch runter, wenn es klingelt und niemand die Tür öffnet, und ich gehe auch runter, um die Pflänzchen zu gießen; nun gut, in Wirklichkeit gehe ich immer wieder runter, und in der freien Zeit, samstags und sonntags, bleibe ich zu Hause und schreibe. Gestern ging ich ins Centro Argentino, um MARIO TREJO beim Rezitieren seiner Gedichte zuzuhören; morgen, am Sonntag, kommt er mit Poni zu uns zum Essen, und um die Antologie seines Freundes Aguirre anzuschauen, in der auch er seinen festen Platz hat.

Ich, meine Liebe, mache auf bescheuert und läute die Glocken, und ich merke allmählich, dass ich in meinem Leben viele Wettrennen gewonnen habe, fast ohne es zu merken. Es gerät mir alles ein wenig durcheinander, am Montag werde ich eine Kopie mit der “Gesamt”- Übersetzung ins Französische von SALTO MORTAL  abschicken. Hoffentlich gefällt sie Dir, es war eine anderthalb Jahre dauernde Arbeit. Hoffentlich zeigst Du sie Leuten, die eine Meinung zur französischen Version abgeben können. Und ich weiss nicht, ob es auf Grund Deiner Autorität über mich oder Deiner Autorität über die Poesie ist, Dein Wort ist immer wichtig für mich. Danke.

Ich habe gelesen, und ich erzähle Dir dann auf der nächsten Seite:

EL AMOR EXISTE Y LA LIBERTAD  ist ein großartiges Buch, und das ist der Grund, warum es nicht ausgezeichnet wurde. Dicht geschrieben, zeitweise barock, widersetzt es sich jeder Art von Dogma, auch neben vielen anderen Dingen den Dogmen der berühmten Linken und der nicht weniger berühmten Freihheit.  Nachdem ich EL AMOR EXISTE Y LA LIBERTAD zuende gelesen hatte, fühlte ich mich dazu aufgerufen, anderes von diesem Autor zu lesen, und ich las mehr oder weniger die Hälfte des anderen unveröffentlichten Buches, mit dem Titel POETA DE LA NOCHE, das etwa 100 Seiten hat. Die ersten beiden Teile des Buches, “Poema de luz” und “Poeta de la noche”, eröffnen meinem Sagen neuen Raum. Fast umgangssprachlich, fast verflucht, kosmisch. Und danach, vom Ungestümen des Dichters getrieben, las ich das dritte unveröffentlichte Buch, für das ich, nach mehreren Titeländerungen, so glaube ich, einen der Grandezza dieser Verse entsprechenden Titel gefunden habe. LA MUERTE DE LA MUERTE. Ich las die Hälfte, aber auf jeden Fall kann ich sagen, mit diesem Buch beginnt die Reife des Dichters. Nicht, dass der Dichter seine Reife erreicht, sondern dass er den Weg zu seinen besten Versen beginnt.

 Dann ist da der Roman und ein paar vereinzelte Gedichte, die keinen Platz in einem der zitierten Bücher finden, die dann schließlich zusammen mit den nächsten Gedichten, die er schreibt, den vierten unveröffentlichten Gedichtband ergeben werden. Ich merke, ein meisterhaftes Zeugnis dessen, was mir passiert, wäre, Dir zusammen mit diesem Brief, einige Auszüge aus den zitierten Büchern schicken zu können. Und ich weiss nicht, ob das heute Nacht möglich sein wird.

 Entschuldige dieses unzumutbare Geplapper über mein Schreiben, aber ich kann es nicht verhindern, es ist wesentlicher Bestandteil der Patsche von Seite eins. Ich habe auch einige schwer zu lösende wirtschaftliche Probleme, denn in dem Masse, wie der dichterische Kredit zunimmt, und warum soll ich es eigentlich nicht sagen, der professionelle, den mir die Kultur gibt, nimmt der wirtschaftliche Kredit immer mehr ab. Nicht, dass sich jemand deswegen Sorgen machen sollte, denn wirtschaftliche Probleme hatte ich schon immer. Der Unterschied ist, diesmal kommt mir der Gedanke, dass nicht zu haben, um nicht zu geben und nicht zu verwalten, was man hat, eine der grausamsten Formen des Narzismus ist, die verfaulende Individualität des ”mich wird niemand stören, niemand wird von mir etwas wollen”, verbirgt sich im nicht haben. Ein recht komplizierter Gedanke, der mich früher oder später dazu führen wird, eine Entscheidung zu treffen, diesen Brief zu schreiben.

 Ich hatte mir vorgenommen, dir aus jedem Band die Gedichte abzuschreiben, die meine Aufmerksamkeit erregen, also ich kam bis zum zweiten Teil des Buches POETA DE LA NOCHE. Das Buch wurde aus fünf Teilen bestehen. POEMA DE LA LUZ, POETA DE LA NOCHE, SOLDADO DE LA NOCHE VIGILO MI PROPIO PENSAMIENTO, LIBERTAD DIVINO TESORO, und ENCUENTRO EN LA FASE CERO beschließt das Buch, dieser letzte Teil mit folgender Widmung

DEN IRDISCHEN, MEINER Familie

DEN AUSSERIRDISCHEN, meinen Freunden.

 In den nächsten Briefen werde ich weiter auswählen und dir die besten Gedichte aus den vorgeschlagenen Büchern senden.

 Wir schicken Dir die fehlenden Nummern der Zeitschrift, dazu die Kommentare. Bitte, APOCALIPSIS benötigt mehr Kommentare.

 Die Februarnummer kam richtig genial heraus, unterhalte dich darüber mit deinen Freunden, damit sie das Heft auch abonnieren. Und es heißt nicht, um ein Almosen betteln, die Zeitschrift ist gut, in einigen Kreisen, die beste Produktion, die es gegenwärtig in Europa gibt. APOCALIPSIS zu lesen, wird uns allen gut tun. Mir hat noch nie etwas solche Freude gemacht wie die Zeitschrift, falls sie nicht mehr erscheint, weiss ich nicht, ob meine dichterische Sensibilität solch eine Enttäuschung ertragen könnte. Der alles einschließende Satz könnte sein: Abonnieren Sie APOCALIPSIS O, leisten Sie Ihren Beitrag, damit der Dichter nicht aus Traurigkeit stirbt.”.

 Kindchen, ich sage Dir, die Antologie hat mich umgebracht. Diese 6 Gedichte von so vielen Gedichten, die für mich 15 Jahre aktive Beschäftigung mit der Poesie nachweisen, verpflichten mich. Ich weiss nicht wozu, aber sie verpflichten mich. In meinem Alter waren andere Dichter wie ich bereits am Ende. Ich habe erst damit begonnen zu schreiben, und sicher werden sie mich schaffen, wie sie alle Dichter geschafft haben, aber mich müssen sie als alter Mann ertragen, das heißt, mit mir werden sie es aushalten müssen, dass ich wachse, bis ich das Alter erreicht habe.

 Manchmal fühle ich mich arm, und manchmal fühle ich das Zimmer voller Goldbarren, wie dunkle Seiten, wertvolle Diamanten und jeglicher Quatsch bringt ein Lächeln auf meinen Mund.

 Ein paar Augenblicke lang glaube ich, etwas in Bezug auf Geld gefunden zu haben, das mich von meinen Zeitgenossen trennt, ein andermal denke ich, dass ich noch nie etwas mit Geld anzufangen wusste. Jetzt aber zaubere ich, ich ziehe mich aus, fessle mich an die Wand, bestrafe mich und gehe arbeiten. Und wenn ich von der Arbeit zurückkomme, bemerke ich, dass ich wiederum nicht genug habe, um dieses Un- bestimmte abzudecken, dass als Notwedigkeit erscheint und ich sage mir, “dann eben nächsten Monat”, und ich bestrafe mich noch härter und gehe arbeiten. Mit der Zeit, sage ich Dir, werde ich, wenn ich weiterarbeite, ein guter Mensch sein. Und mit diesem Mist in meinen Händen, werde ich einmal mehr, nicht wissen, was ich damit anfangen soll. Ich sagte es Dir zu Anfang des Briefes, ich sitze in der Patsche.

 Seit zwei Tagen, abeite ich außer in der Praxis 6 Stunden täglich und 4 Stunden samstags im Verlag, um herauszufinden, ob wir mit meinen 6 tatsächlichen Arbeitsstunden täglich,  wieder in irgendeiner Form aufsteigen können, und wenn das innerhalb von zwei oder drei Monaten nicht möglich ist, werden wir schließen müssen oder zumindest die Aktivitäten des Verlags über einen ziemlich langen Zeitraum einstellen müssen, und unter den Aktivitäten des Verlags befindet sich APOCALIPSIS.

 Trotz allen anderen Anscheins, sagt mir eine innere Kraft, dass alles  gut  vorangeht, aber ich kann es noch nicht beweisen. Ich freue mich, dass ich Dir schreiben kann.

 3

 Wir können das mit dem Uran nicht glauben, weil sie uns mit den Rindern angelogen haben.

 4

DIE RINDERKUH WAR IMMER
ETWAS WAHNSINNIG

MONOLOG ZWISCHEN DER KUH
UND DEM STERBENDEN
Ein Buch von Miguel Oscar Menassa

"Ich habe Verlangen, Esslüste, Hunger auf Jahrtausende, und jetzt wollen sie mich abstillen mit einem Stück Käse, Wucherungen einer Weidekuh, oder die gleiche Kuh mit Stöcken erschlagen und auf dem Tisch zerstückelt, erinnert an alte Rituale, als die Menschen sich einander auffrassen, und das war die Liebe.
              Ich steche erbarmungslos mit meinem Messer gegen das Herz der Kuh, und die Kuh brüllt auf, sie zerreisst sich aus Leidenschaft dem Mörder gegenüber. Und ich, mit der Präzision eines Chirurgen, trenne Fett und Nerven ab und gebe meiner Geliebten einen Bissen von den verkohlten Eierstöcken der Kuh.
              -Wir sind frei, sagt sie zu mir, während sie dem Knirschen ihrer Zähne zuhört und versucht, die verbrannten Teile des Universums zu beugen.
             Danach, schon leichter, indem sie aus allem ein Spiegelbild macht, eine Lüge, meint sie ganz gelöst zu mir:
             In mir lebt eine meisterhafte Kuh, die die ganze Zeit über brüllt und ermordet. Manchmal  tut es ihr anscheinend weh, und dann scheisst sie überall hin, und die wahnsinnig gewordenen Blumen fressen die Essenz der Scheisse auf und wachsen beschleunigt der Zukunft entgegen."

5

EINE LEIDENSCHAFTLICHE LIEBE
EIN GRENZENLOSES BEGEHREN
EINE FRAGLOSE ZÄRTLICHKEIT

Ein Buch von Miguel Oscar Menassa
Für ein besseres Vertragen mit seiner Lebensgefährtin an Feiertagen
Und an dem einen oder anderen Arbeitstag

 

“Dieser Roman ist ein Denkmal an den Wunsch und nicht an seine Befriedigung, und der Wunsch passt weder in Formen noch in Normen.”  

                        Leopoldo de Luis

“Menassa macht aus der Erotik eine wahrhaftige Enzyklopädie der sexuellen Beziehungen”

Juan-Jacobo Bajarlía

6

NIMMT DIE
REALITÄT VORWEG


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