INDIO GRIS

EINPERSONEN-ZEITSCHRIFT ZUR ANSAMMLUNG VON MÜLL
   NR. 32 JAHR 2001 DONNERSTAG, 4. JANUAR 
ES FUSIONIERT, LEITET, SCHREIBT UND VERANTWORTET: MENASSA 2001

WIR KÖNNEN ZWAR NICHT SPRECHEN, DAFÜR TUN WIR'S IN MEHREREN SPRACHEN
SPANISCH, FRANZÖSISCH, ENGLISCH, DEUTSCH,
ARABISCH, PORTUGIESISCH, ITALIENISCH, KATALANISCH


INDIO GRIS IST PRODUKT
EINER FUSION
DER GLANZ DES GRAUS
UND
DER INDIANER AUS DER JARAMA
DIE ZUKUNFTSTRÄCHTIGSTE FUSION DES 
21. JAHRHUNDERTS

Indio Gris


 INDIO GRIS NR. 32

1

 29. Dezember des Jahres 2000:

 Jahrzehnte zu beschliessen und Jahrzehnte zu eröffnen war für mich schon immer wunderbar, aber ein Jahrtausend zu beschliessen und ein Jahrtausend zu eröffnen, das hat in meinem Gedächtnis keinen Platz. Ich möchte die schönsten Worte ersinnen, die damit zu tun haben,  und es gelingt mir fast nichts. Ich weiss nicht, ob es so ist, weil die neuen Worte nicht existieren, oder weil heute der Ersinnende nicht existiert.

 Es machen wie alle es machen, sogar das Fernsehen macht es, die glücklichsten Augenblicke durchlaufen, die schlimmsten Augenblicke durchlaufen, Bilanz ziehen zwischen dem Positiven und dem Negativen, Philosophie betreiben mit dem bereits Gelebten.

 Im Jahr 2000 lernte ich die Vergänglichkeit der Jahre kennen. Die unerschütterliche Rückkehr der schmerzlichen Erinnerungen.

 Im Jahr 2000 lernte ich den Genuss der Ausdauer kennen.

 2

 1 Januar des Jahres 2001:

 Ich bin hier, ich bin hier und das ist genügend.

 3

 16. August 1979, Madrid:

 Ihr Lieben:

 Fast ein Jahr nach der “Gründung”, um es mal so zu sagen, des Verlags Gruppe 0 Madrid und nach fast drei Jahren seit meinem Fortgang aus Buenos Aires, leg’ ich wieder los.

 Sonnengebräunt vom Sommer und meinen Reisen durch warme Länder, so warm wie Israel und Kolumbien, ist auf meinem Gesicht eine gewisse Sicherheit zu erkennen, die ich zuvor nicht hatte.

 Und wenn sprechen immer bitten bedeutet, wie Ihr bestimmt wisst, durch Eure Annäherung an die Rhetorik des Wunsches, möchte ich Euch sagen, dass schreiben auch bitten bedeutet.

 Ich werde jedoch diesmal versuchen, den Wunsch nicht an irgendwelche Grenzen stossen zu lassen.

 Die Zeit vergeht nicht unnützerweise.

 Ab September wird  unsere Zeitschrift für Poesie Apocalipsis Cero, monatlich erscheinen und zwar mit neuem Format und gedruckt.

 Und wie Ihr wisst, über meine Hartnäckigkeit hinaus kann eine Zeitschrift für Poesie nur überleben, wenn sich um sie herum die Liebe vieler konzentriert.

 Eine Zeitschrift für Poesie zu abonnieren, heisst nicht vernachlässigen, sondern vielmehr eine neue Dimension des Dialogs zu ereichen.

 Hauptinhalt der ersten Ausgaben:

 SEPTEMBER:       Mallarmé, Sympoleleser, von Jacobo Fijman.
                                           Beratungsstelle für Herznesangelegenheiten: unser erster Patient: Cesare Pavese

 OBTOBER:            Der Mensch kann 200 Jahre leben.
                                            Psychoanalyse und Poesie,  zu einer Dichtkunst in den Wissenschaften 

NOVEMBER:         Familienplaung
                                            Beratuungsstelle für Herzensangelegenheiten. Dylan Thomas.
                                            Maiakowski. Die Revolutionsgesellschaft und die Poesie.

DEZEMBER:           Übersicht zur Gruppenpsychotherapie in Madrid.
                                             Überblick über die spanische Gegenwartspoesie.

 JANUAR:                Texte für ein Kapital der Suprastrukturen
                                              Psychoanalyse und Linguistik

 4

31. Oktober 1979, Madrid:

LIEBES, LIEBES:

Dein Anruf hat in meinem Leben etwas Gutes bewirkt.

 Seit deinem Anruf habe ich Lust nach Buenos Aires zurückzukehren, natürlich eine Reise mit allen meinem Kindern, um die Familie zu besuchen, unmöglich das ganze, wir sind schon so viele. Nichts jedoch bereitet mir Sorgen.

 Jeden Morgen weckt mich, fast seit er geboren wurde, Jorge Fabian, um sieben Uhr und bereits um acht bin ich am arbeiten, aber im Verlag, wir haben seit einem Monat eine neue Abteilung für den Verlag, sie befindet sich im 20. Stockwerk des Gebäudes Torre de Madrid.

 Ich scheibe dir von da aus und ab und zu, sobald ich den Kopf hebe, sehe ich die verschneiten Berge, für mich ein wunderbares Schauspiel, denn ich wurde in einer grossen Stadt ohne Hügel geboren.

 Ich weiss nicht, ob sie in Buenos Aires vom Tod durch Kehlkopfkrebs von Oscar Massota erfahren haben, angesichts der Nachricht schrieb ich ein Gedicht, das ich dir auf einem gesonderten Blatt schicke.

 Der Brief GALANTERNIK mit den 16 Abonnements, riss mir das Herz in Stücke. Was den Spionierer betrifft, sollte man ihm einen Brief mit Empfehlungen  zukommen  lassen, dass er sich schonen muss, denn so wie er lebt, wird er schliesslich ein Magengeschwür bekommen. Das Gedicht, das ich zusammen mit diesem Brief schicke, hätte ich gern, wünsche ich, bitte ich dich inständig, verbreite es – wie immer auch – unter den Freunden. Danke.

 Es ist mir heute morgen, ist es mir kalt.

 Kalt in Madrid, das war’s mir jedes Jahr. Offensichtlich kann ich nicht vollständig jene “schrecklichen” Tage des Winters 76 vergessen.

 Bei der Lektüre von SALTO MORTAL, finde ich mich immer selbst. Ich kann es dir nur empfehlen. Nach dem vielen Hin und Her mit dem unverlegten Buch, EL AMOR EXISTE Y LA LIBERTAD, habe ich beschlossen, es bei einem Wettbewerb vorzulegen. Und das, nachdem ich es getan hatte, tat mir nicht ganz gut. Ich hatte, nachdem ich das Buch zur Post gegeben hatte, widersprüchliche Gedanken.

 Dein Anruf hat mir sehr gut getan.

 Ich umarme dich, grüsse dich wegen der Zukunft,

200 Jahre leben, wenn es nötig ist, und wenn es nötig ist, tausend.

5

26. Dezember 1979, Madrid:

LIEBE NORMA:

Der Grund für diesen kleinen Biref, den ich dir schreibe, geht auf eine Nachricht zurück, die ich hörte, wonach etwas in Buenos Aires passiert ist und das ist für mich, sehr gut.

 Der Nachricht zufoge hat der Buchladen FAUSTO scheinbar eine Antologie der argentinischen Poesie herausgegeben, und scheinbar wurde eines meiner Gedichte aufgenommen. Wenn das so wäre, würde es mir gut tun, dieses Buch bei mir zu haben. Und ausserdem, würde es dir nichts schaden, mich in einer Antologie zur Poesie aufgeführt zu sehen. Und ich glaube sogar unseren Eltern würde es gut tun, diese Antologie zu sehen. Schon mal danke für die Nachforschungen, die du dazu anstellen kannst.

 LIEBES, ich hätte gern, dass du mir schreiben könntest, ich erwarte immer erwartungsvoll deine Briefe. Nachdem ich dir die Einführung von Salto auf französisch geschickt hatte, wovon ich nicht weiss, ob sie bei dir angekommen ist,  haben die Überetzerinnen haargenau diesen Teil des Buches noch einmal übersetzt. Diese Woche wird ein Verleger in Nizza das fertig übersetzte Buch lesen. 

 Im Baskenland, wurde endlich meine Arbeit zur Familie als Sexualstruktur veröffentlicht. Ich werde versuchen, dass ein Exemplar an dich und eines an Roberto geschickt wird.

 Vor zwei Tagen schrieb ich endlich nach langer Zeit ein grossartiges Gedicht, es heisst: ADIOS CULTURA, MI SEÑORA, und ich eröffne mit diesem Gedicht zweifellos meinem Schreiben einen neuen dichterischen Raum. Ein paar Tage bevor ich dieses Gedicht schrieb, hatte ich einen Gedichtband abgeschlossen, er heisst POETA DE LA NOCHE. Das heisst, jetzt habe ich zwei nichtverlegte Gedichtbände, den eben erwähnten und EL AMOR EXISTE Y LA LIBERTAD. 

Womit ich nicht weiterkomme,  ist mit meiner Arbeit am Roman, ich bin weiterhin auf Seite 45.

 EIN PAAR WORTE ZU APOCALIPSIS, ich bitte darum.

 Es gibt Tage, an denen ich mich wunderbar fühle, ich fühle mich als der Dichter, der ich in meinen Kinderträumen werden wollte. Manchmal stelle ich mir, so wie ich es in einem meiner letzten Verse sage,  meinen Namen wunderschön eingefügt in den Takt einiger meiner Verse vor, mitten im eigentlichen Herzen der Menschheit.

 Ich befinde mich gerade in einem Moment, wo mir Buenos Aires sehr fremd vorkommt, das heisst, mein vergangenes Leben, und dennoch fasse ich immer stärkere Wurzeln in dieser Kultur, in der es sich so schwer Wurzeln fassen lässt.

 Hast du die Zeitschrift Nr. 7 bekommen, wo deine Gedichte veröffentlicht sind? Ich habe dir ein Plakat geschickt, von dem ich auch nicht weiss, ob du es bekommen hast. Von dieser Ausgabe wurden scheinbar 2000 Exemplare verkauft, stell dir das vor, 2000 Käufer, das bedeutet fast 6000 Leser. Jeden Monat eine Monatszeitschrift zu veröffentlichen,  lässt alles noch warm sein. Zum Beispiel den Leitartikel vom Januar mit  der Vorderseite von Carpani, wirst schon sehen, wie wunderschön, wurde im November geschrieben und erscheint im Januar . Schreiben ohne Wahl, weder Zeit für die Moral, noch für die Zensur. Offenes Schreiben, ohne Hindernisse. Ich hätte es nur allzu gern, dass du ständige Mitarbeiterin der Zeitschrift wärst.

 Apocalipsis wurde in kurzer Zeit zu einer bedeutenden Zeitschrift, jetzt kommt aber das schwierigste, es auch zu bleiben und, wenn es nötig ist, jahrelang. 

In diesen Tagen freue ich mich über mich selbst.

 Schon lage habe ich mich nicht mehr über mich gefreut!

 Alles was getan wurde, erscheint mir gut getan, alles zu tuende erscheint mir möglich.

 Vor ein paar Tagen erreichte uns ein Glückwunschschreiben des Dichters, Vicente Aleixandre, zu unserer bezeichnenden Arbeit mit Apocalipsis Cero. Und fast am gleichen Tag ein Brief des Internationalen Zentrums für poetische Studien aus Belgien, das auf Grund unseres das Tun und Denken verändernden bedeutenden Schreibens in Spanien, eine Arbeit zur spanischen Poesie von uns anfordert, die sie mit Vergnügen veröffentlichen werden. Das heisst, wir sollen einen Überblick über die spanische Poesie der Gegenwart geben.

 Diese beiden Anerkennungen haben uns gut getan.

6

29. Januar 1980, Madrid:

LIEBE NORMA:

 Mit deinem Überraschungsbrief vom Samstag nach Madrid und der Antologie, Überrraschung.  Ich fühle mich darin am richtigen Platz. Nicht nur wegen des mir zur Verfügung stehenden Raums, sondern weil die Auswahl der Gedichte, eines aus “Pequeña Historia”, meinem ersten Buch, und fünf Gedichte aus “Yo Pecador”, meinem letzten Buch für Aguirre, aus mir einen Dichter machen, der schon seit 15 Jahren publiziert wird, wobei in Betracht zuziehen ist, dass meine letzten fünf Jahre von mir nicht mitberechnet wurden. Ich freue mich.

 Was ich nicht verstehe, was für einen Menschen bedeuten soll,  in einer Antologie der Dichter seines Heimatlandes (wie man so sagt) zu erscheienen,  wenn er schon seit vier Jahren in einem fremden Land lebt.

 So um den Beginn der Winterfereien hier, 21.-22. Dezember, schrieb ich ein Gedicht, das zunächst hiess: “Adios cultura, mi señora” und jetzt heisst es “El adios del poeta”. Ich fühlte , es würde ein grossartiges Gedicht sein,  und dass ich seit langem kein grossartiges Gedicht mehr geschrieben hatte, mehr oder weniger in  diesen Tagen erfuhr ich, ich weiss nicht mehr auf welchem Wege,  von der Antologie,  um die Wahrheit zu sagen, ich war einige Tage lang,  verwirrt. Und ich begann eine Reihe langer Gedichte zu schreiben, die besten meines Lebens und jetzt vor fünf Tagen schrieb ich das letzte der Reihe, es heisst EL VERADREO VIEAJE, und  der Titel des Buches ist danach benannt, der Inhalt wird folgender sein:

 EL ADIOS DEL POETA-MURMURACIOENS DEL POETA-EL AMOR-LA MUERTE- LA POESIA- LA LOCURA-LA PATRIA DEL POETA und EL VERDADERO VIAJE, dieses letzte Gedicht wird der Leitartikel im März sein. Ich würde dir gerne dieses Gedichte überschreiben und dir zukommen zu lassen. Mal sehen, ob ich dazu in der Lage bin, diese Arbeit auszuführen.

 Ich bin gerne zerstreut,   wenn ich rauche, ich sehe ein, dass das Meer für alle etwas Gutes sein wird, meine nächsten Schritte werde ich dem Meer zuwenden, wobei ich nicht weiss, wann es mir mögilich sein wird, erste Schritte zu unternehmen, ganz in Madrid verwurzelt, das ist noch viel lustiger als in Paris verwurzelt zu sein, und dennoch bin ich in Madrid verwurzelt. Auf jeden Fall werden die Übersetzerinen von  Salto das ganze Buch auf  Französisch vorlesen, und zwar am Samstagabend, ich werde dir davon erzählen, was das für ein Ding ist.

 Danach ging ich schlafen und ich träumte davon, dass ich im Jahre 1980, das gerade begonnen hatte, 4 Bücher veröffentlichen würde und alles Gedichtbände. Die Titel sind:

 EL AMOR EXISTE Y LA LIBERTAD

POETA DE LA NOCHE

PISCOANALISIS DEL POETA (das einzige Buch das nicht in geschriebener Form vorliegt)

EL VERDAREO VIAJE dieses Buch wurde veröffentlicht, mit einem bedeutenden Vorwort, das ich im Traum nicht erkennen konnte und Zeichnungen von Dalí.

 Am Mogen stand ich auf und erinnerte mich daran, dass  ich in einem Biref schrieb, dass ich in

Spanien bleiben werde, bis ich von jetzt an 10 Bücher veröffentlicht haben werde, bei diesem Tempo, also vier Bücher pro Jahr, in drei Jahren bin ich ihn Buenos Aires, jetzt grüsse ich dich und gehe in aller Ruhe an meine Arbeit. 

7

EINE LEIDENSCHAFTLICHE LIEBE
EIN GRENZENLOSES BEGEHREN
EINE FRAGLOSE ZÄRTLICHKEIT

Ein Buch von Miguel Oscar Menassa
Für ein besseres Vertragen mit seiner Lebensgefährtin an Feiertagen
Und an dem einen oder anderen Arbeitstag

 

“Dieser Roman ist ein Denkmal an den Wunsch und nicht an seine Befriedigung, und der Wunsch passt weder in Formen noch in Normen.”  

                        Leopoldo de Luis

“Menassa macht aus der Erotik eine wahrhaftige Enzyklopädie der sexuellen Beziehungen”

Juan-Jacobo Bajarlía


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