INDIO GRIS

EINPERSONEN-ZEITSCHRIFT ZUR ANSAMMLUNG VON MÜLL
   NR. 31 JAHR 2000 DONNERSTAG 28. DEZEMBER
ES FUSIONIERT, LEITET, SCHREIBT UND VERANTWORTET: MENASSA 2000

WIR KÖNNEN ZWAR NICHT SPRECHEN, DAFÜR TUN WIR'S IN MEHREREN SPRACHEN
SPANISCH, FRANZÖSISCH, ENGLISCH, DEUTSCH,
ARABISCH, PORTUGIESISCH, ITALIENISCH, KATALANISCH


INDIO GRIS IST PRODUKT
EINER FUSION
DER GLANZ DES GRAUS
UND
DER INDIANER AUS DER JARAMA
DIE ZUKUNFTSTRÄCHTIGSTE FUSION DES 
21. JAHRHUNDERTS

Indio Gris


 INDIO GRIS NR. 31

 1  

15. April 1979, Madrid:

Liebes:

Heute, Sonntag, de erste Tag nach der baskischen Woche über Sexologie.

Und ich schreibe dir heute morgen eigentlich nicht, um dir von  dem grossartigen Erfolg, den nicht nur mein Vortrag sondern auch die Arbeit der Gruppe 0 während dieser Woche hatte, zu erzählen, sondern vielmehr um dir su sagen, dass das meistverkaufte Buch auf dem Bücherstand des Kongresses “Yo Pecador” war und noch ein bisschen mehr, es wurde mir vorgeschlagen, das Gedicht Arte Poético vertonen zu lassen. 

Siehst du? Ich hab’s dir schon immer gesagt,  die Poesie wird Unheil anrichten.

Die Poesie richtet Unheil an, der erste Publikumsbeitrag nach meinem Vortrag mit dem Titel “Die Familie als Sexualstruktur” war, wie ich es denn wagen könne, diesen Text auf einem wissenschaftlichen Kongress zu lesen. Und nach drei oder vier Einwürfen mit dem gleichen Tenor, stand zitternd eine Sozialarbeiterin aus Huelva auf, um mit ihrer dünnen Stimme zu sagen, was nach dem Vorlesen des herrlichsten Textes, den sie je in ihrem Leben gehört habe, passiert sei, beweise den Grad an sexueller Repression der Kongressteilnehmer. Der Beitrag eines Gynäkologen (einer der Organisatoren des Kongresses), demzufolge er sagte, er sei beeindruckt von dem grossartigen Dichter, den meine wissenchaftliche Arbeit durchblicken liesse, besiegelte den Hypnosezustand, den die 240 Tagungsteilnehmer anfingen zu erleiden, als ich mit dem Vorlesen meiner Arbeit anfing, die ich dir binnen kurzem schicken werde.

Die Diskussion musste abgebrochen werden (um dem nächsten Vortragenden aus der Verhaltensschule von Barcelona Platz zu machen), und dann beschlossen alle Kongressteilnehmer einstimmig, dass die nächtliche Plenarsitzung durch einen Gemeinschaftsbeitrag der Mitglieder der Gruppe 0, Larriera, Kozak, González und Menassa (im Saal anwesend) ersetzt werden solle.

Am nächsten Tag erschienen in vier Lokalblättern Erklärungen wie, die Familie sei ein ideologisches Modell des Staates, und deswegen vermittle sie, keinen menschlichen Gedanken vom Leben, sondern ein ein juristisches Modell bar jedes menschlichen Inhalts, und was weiss ich noch  vieles mehr.

Ich hätte gerne gewusst, ob du “Psicoanálisis del líder” bekommen hast, ein Buch, das man in Erinnerung behalten wird. Jetzt kommt für mich die Reisezeit, in den nächsten Monaten erwarten mich Einladungen aus Huelva, San Sebastián, Vitoria, Murcia, Salamanca und Valencia, jetzt muss ich nur warten und warten, es ist angenehm, wenn das, auf was man wartetet, ein Wunsch ist.

Wie geht’s, Kind?

Ich habe ein unbegrenztes Alter, denn mein Denken ist unbegrenzt, ich bin auf der Suche einer Begegnung mit Ausserirdischen. Ich weiss, man hat mir gesagt, wenn man ihnen schriebe, würden sie auftauchen. Und andererseits weiss ich als Dichter, wenn sie nicht auftauchen, und ich weiterschreibe, werde ich sie schliesslich hervorbringen..

Und so kam es dazu, dass der Mensch neue Welten entdeckte, und so ist es jetzt, wenn wir keinen Umweg einschlagen, wird der Mensch seinen eigenen Tod hervorbringen.

Ich hätte gerne den Mut, dir meine letzten Unterrichtsunterlagen zusenden zu können, Seminare und all das. Eine Art Bestandsaufnehme meines Denkens.

Ein Gedanke, der nicht weil er begrenzt, weniger praktisch ist, ich möchte sagen, sobald die Wirkung sozial ist,   die Entwickliung historisch, dann kommt niemand auf die Idee, nach dem Reinheitsgrad der Rationalität der Methode zu fragen.

Es kommt mir gerade in den Sinn, der Kongress endete mit einer Art Aperitif für alle Vortragenden und Teilnehmer, und dort hingen dann Plakate an den Wänden des Kongresssaales mit witzigen Anspielungen, wie mit der eines Propagandaspruchs einer politischen Partei, nämlich, “lass deine Stimme arbeiten”, der verwandelt wurde in “lass dein Geschlecht arbeiten, ich war dran mit “Menassa-Schwanz, geschwind, wir woll’n von dir ein Kind”. Natürlich gingen die Empfehlungen der Gruppe während der Woche dahin, dass ficken besser als nicht ficken sei. Und schlieslich und endlich würde den Leuten im allgemeinen, das dann doch gefallen.

In Spanien hat die Repression ein göttliches Element, unter dem wir nie gelitten haben.

In Kürze werde ich dazu in der Lage sein, dich zu einer Rundreise durch Spanien einzuladen, ich hoffe, dass du dazu in der Lage sein wirst, mich besuchen zu können. Das Leben fängt gerade erst an. Uns zu Anfang des Lebens zusammenzutun wird uns alle grösser machen. Und zusammentun heisst nicht, sich von hier nach da zu bewegen.

Ich habe schon lange keinen dreiseitigen Brief mehr geschrieben. Ich freue mich.

Eine 50-jährige Lehrerin gestand mir, sie habe gemerkt, sie habe, bis sie mich kennen gelernt habe, alles falsch gemacht, und im gleichen Augenblick empfinde sie, es lohne sich, alles von neuem anzufangen.

Ich freue mich.

Ich habe mir zwei Hosen, 3 Hemden und ein schwarzes Sportsakko mit silbernen Knöpfen gekauft, habe mir die Haare schneiden lassen, und wurde von einem Tag auf den anderen zehn Jahre jünger.

 Junger argentinischer Psychoanalytiker entdeckt die subtilen Mechanismen mit denen die Familie die Staatsideologie reproduziert.

 Ich freue mich.

 Und es passiert mir nicht, wie man denken könnte, zum erstenmal in meinem Leben.

 Danke, dass man mir die Freude beigebracht hat.

 Der Mensch kann mehr, rufe ich wieder und wieder nach allen Seiten.

 Der Mensch war noch nicht. Es fehlt ihm der Blick auf sich selbst. Dieses Jahrhundert schenkt diesen Blick, wir, liebe Schwester, nur ein kleiner Ausschnitt dieses grossen menschlichen Kaninchens, auf den der Blick geworfen wird.

Sich zu freuen ist deswegen keine Unwissenheit, und auch keine Seligkeit, die an den Hörnern gepackt wird, sondern vielmehr die Mechanismen entdeckt zu haben, mit denen sich die Geschichte die Subjekte zu eigen macht, damit ihr Werden als menschliche Geschichte möglich wird.

  2

 Sonntag, 13. Mai 1979, Madrid:

 Liebes:

 Ich habe den Wunsch, ein paar Tage in Buenos Aires zu verbringen, und dann wäre ich dir für jeden Einfall dankbar, der meinen Traum möglich macht.

  3

 11. Juni 1979, Madrid:

Liebes:

 Diesmal würde ich mich gerne mit dir in Buenos Aires unterhalten, diesmal würde ich gerne die Zukunft versuchen, mit dir.

 Jetzt ist für mich eine Blitzreise in die Hauptorte des Schreckens dran: Israel, Buenos Aires, Kolumbien, und das wird mir einen neuen Blickwinkel für das geben, was wir während  dieser fast drei Jahre in Spanien, also Madrid, erlebt haben.

 Ich habe für die Israelreise keine klaren Motive, deswegen wird es die erste meiner Reisen sein. In Calí werde ich 8 Vorträge über Psychoanalyse, Poesie und Wahnsinn halten. In Buenos Aires, das ist absolut wahr, habe ich grosse Lust dich zu sehen, den Alten, die Alte, Elsa, Silvia, also Buenos Aires ist gerechtfertigt, weil es eine Reise der Liebe ist. Alle reisen, und das ist nicht schlimm, aus Liebe. Alles, was in Beunos Aires ausser der Liebe passiert, werde ich als eine ausserordentliche Wohltat ansehen, wie die Heilung durch Psychoanalyse.

Irgendwie würde ich in Buenos Aires gerne eine Gruppe leiten oder Unterricht zu Lebensfragen und dem Schreiben geben und auch die neusten Versionen zu einigen Begriffen aus der Psychoanalyse.

 Ich werden Papá schreiben, aber ich hätte gern, dass du ihm von der Reise Bescheid gibst, Mama auch, dass es etwas Gutes ist, das uns allen gut tun wird. Danke.

 Meine Reise nach Buenos Aires werde ich in den ersten Julitagen unternehmen, nach dem Geburtstag von Pablo, den ich gern  mit ihm zusammen verbringen möchte.

 Davor werde ich bereits aus Israel zurücksein. Die Wüste. Kannst du dir das vorstellen?: ein warmer Sandstrom über das Gesicht, und in einem Augenblick wird sich mir die Geschichte des Menschen in diesem anderen Licht zeigen. Ein Meer mitten in der Wüste, worin mein Körper niemals untergehen wird.

 4

 2. Juli 1979, Madrid:

 Liebes:

 Der Ablauf der Jahreszeiten bringt mich manchmal aus der Fassung.

 Mit diesem Brief will ich dir sagen, dass ich nicht nach Buenos Aires reise, dass ich mich gegenwärtig nicht dazu aufraffen kann,  und ausserdem denke ich, dass es für mich im  Moment weder richtig noch sicher ist, nach Buenos Aires zu reisen. Sonst alles gut

Ich habe meine Israelreise abgeshlossen,  und in ein paar Tagen reise ich nach Cali, das könnte letzlich ein Ort zur Begegnung für uns sein, dort herrscht ein schmutziger Krieg wie in Buenos Aires, aber es ist nicht unser Krieg und dafür spräche, dass das Kraut noch nicht verboten wurde.

 Mit getrennter Post haben wir dir die Nr. 3 von APOCALIPSIS CERO geschickt, hoffentlich gefällt sie dir. Ab September werden wir monatlich erscheinen. Olga geht es sehr gut bei ihrer Schwangerschaft und das Kind wird Anfang Oktober zur Welt kommen.

 Ich war in Jerusalem und habe gesehen, was weiss ich, wann ich das werde erzählen können. Da erschien mir alles in der gleichen Zeit zusammengefasst, ich sah die ganze Vergangenheit unserer Menschheit und ihre Zukunft. EL SEPULCRO DE CRISTO, EL MURO DE LOS LAMENTOS, LA MEZQUITA DE OMAR, drei verschiedene Ordnungen des Wissens (das Wissen ist im Himmel, das Wissen ist in der Mauer, das Wissen ist in einem selbst), drei verschiedene Ordnungen der Unterwerfung (der Tod, das Weinen, die Nacktheit), drei verschiedene Ordnungen der Herrlichkeit ( das Jenseits, Hierseits, Niemals).

 Un ein viertes Element, das diese Einheit mit Leben erfüllt: DER JORDANISCHE MARKT, das wahnsinnigste Theater, das ich je in meinem Leben gesehen habe, das deutlich zeigt, dass das Geld alle Religionen, alle Geschlechter gleich machen wird.

 In den nächsten Briefen werde ich versuchen, meine Entscheidung zu diesem Zeitpunkt, nicht nach Buenos Aires zu reisen, besser zu erklären. 

Gestern wurde Pablo fünf, und es war wunderschön seinen Geburtstag zu feiern.

5

Ich freue mich, so sehr geliebt zu haben, so sehr an die Grenze der Küsse gelangt zu sein,

Freue mich, uns umarmt zu haben, nachts in den Wolkendunst der Stille eingehüllt

Beim geilen Erleben des Fleisches und Feuers, bei der glanzvollen und wahnsinnigen Leidenschaft der Worte

freue mich, eines Morgens aufzustehen, mit feuchten von der Liebe befleckten Pupillen.

 Es war ein Jahrhundert des Wahnsinns, wir wuchsen in alle Richtungen, Hass und Liebe gerieten ins Riesenhafte,

die Armut reichte bis zum Reichtum, die Albernheit und der schöne Wahnsinn bevölkerten Monasterien,

Die Krankheiten, die die Liebe hervorgebracht hatte, reichten bis zur Seele und bevölkerten die Schweigepausen.

In seinem Bestreben zu sterben, erfand der Mensch Viren, die besessen das Denken angreifen.

 Danach muss es gesagt werden, im Herzen der Musik zerstörte dieses Jahrhundert die Gitarre,

Die Kriegsgeige war Klage, die im Flug gen Himmel den Schmerz ereichte.

Die Trompete  war Heulen und das Heulen Gesang, sogar das Saxophon dudelte zum Steinerweichen.

Es gab Trommeln des Wahnsinns, dieses Jahrhundert, die explodierten und klangen dabei wie Lichtsphären.

 6

 26. Dezember 2000

 Heute vor 30 Jahren gab es ein Fest. La Negra und ich feierten ein Hochzeitsfest, für 300 Gäste und Geschenkliste, anspielende Gedichte und Weinen und Abschiede und definitive Begegnungen, ohne zu heiraten.

Es gibt Feiern in meinem Leben, die jede Erinnerung erhellen. Im Jahr 1970 unterhielt man sich viel in Beunos Aires. Jeder wollte oder verlangte Proben, bevor man sich definitv einer Sache oder Person verpflichtete. Wir beschlossen mit der Negra einen kleinen Versuch zum Zusammenleben zu unternehmen, wenn die Sache gut lief, würden wir heiraten. Wir gaben ein grosses Fest, um Verwandte und Freunde zu beruhigen und begannen zu leben.

 Es ging um einen kleinen Versuch, danach würden wir alles normal machen und gaben uns einen Kuss. Wir hatten Kinder, schrieben Bücher, gingen ins Exil, hatten Kinder, schrieben weitere Bücher, uns besuchte der Tod, und nachdem 25 Jahre seit diesem Kuss vergangen waren, erklärten wir den Versuch für beendet, und wir heirateten auf dem Standesamt eines kleinen Ortes im Osten von Madrid.

 Das Ulkige an der Geschichte ist, dass wir nach fünf Jahren Ehe immer noch zusammen leben.

 7

EINE LEIDENSCHAFTLICHE LIEBE
EIN GRENZENLOSES BEGEHREN
EINE FRAGLOSE ZÄRTLICHKEIT

Ein Buch von Miguel Oscar Menassa
Für ein besseres Vertragen mit seiner Lebensgefährtin an Feiertagen
Und an dem einen oder anderen Arbeitstag

 

“Dieser Roman ist ein Denkmal an den Wunsch und nicht an seine Befriedigung, und der Wunsch passt weder in Formen noch in Normen.”  

                        Leopoldo de Luis

“Menassa macht aus der Erotik eine wahrhaftige Enzyklopädie der sexuellen Beziehungen”

Juan-Jacobo Bajarlía


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