INDIO GRIS

EINPERSONEN-ZEITSCHRIFT ZUR ANSAMMLUNG VON MÜLL
Nr. 3 JAHR 2000, DONNERSTAG 15. JUNI
ES FUSIONIERT, LEITET, SCHREIBT UND VERANTWORTET: MENASSA 2000

WIR KÖNNEN ZWAR NICHT SPRECHEN, DAFÜR TUN WIR'S IN MEHREREN SPRACHEN
SPANISCH, FRANZÖSISCH, ENGLISCH, DEUTSCH,
ARABISCH, PORTUGIESISCH, ITALIENISCH, KATALANISCH



INDIO GRIS IST PRODUKT
EINER FUSION
DER GLANZ DES GRAUS
UND
DER INDIANER AUS DER JARAMA
DIE ZUKUNFTSTRÄCHTIGSTE FUSION DES 
21. JAHRHUNDERTS

Indio Gris


INDIO GRIS NR.3

1

Wenn ich schon allein im Guten für mich denke, das heisst zu meinen Gunsten, dann vergeht mir die Lust zu lieben, dachte der Verurteilte.

Ich kann nicht verstehen, dass das für jemanden schlecht sein könnte.

2

Ich muss lernen mit Entfernungen umgehen.

Buenos Aires, die Welt, ausserdem ohne mich aus Madrid fort zu bewegen.

3

Gut damit umzugehen heisst, die Geschäfte auf Dauer anzulegen, so wie dauerhafte Begriffe dauern, die Seele, zum Beispiel, Gott.

4

Heute möchte ich nur etwas über das Spiel erfahren, etwas über die Frau.

Und andererseits, bin ich mir darüber im klaren, dass ich nicht verlangen kann, dass das verstanden wird, was ich nicht verstehe.

5

Ich muss meinem Verrücktsein eine Grenze setzen. Irgendetwas muss stehen bleiben, damit die Summe möglich ist.  

Er ist vor Traurigkeit in der Wüste gestorben Und nicht an Durst, furchtsam fliehend Wie ein paar Ausländer erzählen.

Naur hatte zwar in seinem Gesichtsausdruck

Überreste irgendeiner geheimnisvollen Vergangenheit

- homosexuell oder sadistisch, sagten die Frauen -

jedoch sprach Naur sieben Sprachen und

in die Furchen seines Gesichts stand ihm Intelligenz geschrieben

Wenn er liebte, war er nicht gerade ein

Mann aus der Wüste, wie zu merken war, in seinem

aufgewühlten Haarschopf sah man etwas weltbürgerliches.

7

Es gibt Zauberschritte.

Manchmal entdecke ich sie beim Gehen auf der Strasse.

8

Heute frage ich mich

Geld haben oder nicht haben?

Sexualität haben oder nicht haben?

Geld und Sexualität verlangen danach, um beides zu haben, nicht kontrolliert zu werden.

Geld zu haben, Sexualität zu haben, zeigt eine vom Geld und der Sexualität gesteuerte Person auf.

9

Auch IHR gefällt es, dass ich mir einen runterhole - vor ihr und ihren Freundinnen.

10

Seit mehr als 20 Jahren lebt sie in Spanien, und wenn sie südamerikanisch "acá" sagt statt spanisch "aquí", empfindet sie das nicht als Lapsus, sie wird nicht weit kommen.

11

Er kam und sagte mir:

Ich gebe nichts mehr her. Ich bin wirklich entgleist.

12

Sie legte sich auf die Couch und fing an von ihrem Mann zu sprechen:

- Er sieht schlecht aus. Ich mache mir Sorgen um ihn. Er schont sich nicht. Er hat weder Mut noch Zeit sich zu schonen.

Ausserdem übertreibt er alles masslos. Alles in ihm ist gross. Erkranken, Sich vergiften ... alles ist gross.

Ich fühlte mich unbehaglich bei dem Gedanken, dass sie von mir sprach.

Wegen der Zweifel, sagte ich nichts, aber ich erinnerte mich mit übersteigerter Leidenschaft an meine Tage im Knast beim Militär, an meine Tage im Krankenhaus, an meine Tage in der Ehe, in der Universität, auf der Strasse und das einzige, was mir einfiel ihr zu sagen, war:

Wir machen beim nächstenmal weiter.

13

Wenn ich schon keine Kraft habe, sollte ich Intelligenz haben. Und das ist immer bei anderen.

14

Sie haben von Brasilien angerufen, dass die Nummern eins und zwei bereits auf Portugiesisch übersetzt sind. Und gerade ist in der Schule die Übersetzung der Nummer eins ins Deutsche angekommen.

Es ist alles wie ein Rausch, niemals habe ich mir vorgestellt das zu tun, was ich jetzt tue.

Nachdem ich gestern mit allen Übersetzern gesprochen hatte, mindestens sechs zunächst, war ich mir darüber im klaren, dass mich diese ganze Angelegenheit schon etwas kosten würde.

Alles hatte vor 14 Tagen fast wie im Spass angefangen. Ich würde ein paar Wörter von mir, in mehrere Sprachen übersetzt, ins Netz schicken und irgendjemand würde sagen: sieh mal an, was der macht. Vierzehn Tage später muss ich mit mindestens 500.000 Peseten monatlich rechnen, um mit einem anfangs scheinbar harmlosen Spass weiterzumachen, was sich jetzt als echter Luxus herausgestellt hat.

Ziehen wir hier alle eigentlich am gleichen Strick, oder was verdammt noch mal ist los? fragte schreiend der Verurteilte.

15

Der Bildausschnitt muss die gesamte Kultur erreichen, bis jemand von uns sagen kann:

- Ich bin kein Weltbürger, ich bin Psychoanalytiker.

Als ob man sagte:

- Heute regnet es, aber ich gehe nächsten Sommer ans Meer.

16

DER TAG, AN DEM ICH AUFHÖRTE, MARIHUANA ZU RAUCHEN

Zum erstenmal rauchte ich "Maria" in Chile, am Strand von Valparaiso, 1969, kurz nachdem ich meine ersten 30 Lebensjahre vollendet hatte.

Wir waren bei der Schwarzen auf einem Zeltplatz; dorthin waren wir mit unserem Fiat 600 gekommen nach dem Hoch und Runter bis 4.500 m, alle nach oben, alle einem unendlichen Himmel entgegen, den ich nie vergessen werde.

Zwei junge Männer kamen auf uns zu, noch jünger als wir, und sie baten uns, unter oder neben dem Auto schlafen zu dürfen, ich erinnere mich nicht genau, und indem sie sich für unsere Gastfreundschaft bedankten, wollten sie wissen, ob wir Kraut kifften.

Wir schämten uns natürlich und bejahten im Chor, und im Nu hatten wir so einen kleinen Marihuana-Stummel in der Hand, Güteklasse "nieve-calda", gut-sehr gut, wie der Typ meinte.

Wir setzten uns mit der Schwarzen in unser Zelt, machten dicht, als ob es unsere Zelle wäre , unsere erste Sünde. Mit 30 Jahren war es - wenigstens für mich - durchaus nicht übel, etwas kennen zu lernen, was alle schon mit 20 kennen gelernt hatten.

Danach, im Laufe der Zeit, mass ich diesen zehn Jahren Verspätung die ganze Bedeutung der unterschiedlichen Wirkung bei, die irgendein Rauschmittel auf mich hatte. Ich hatte dieses Verhältnis zum Krautkiffen nicht nur zehn Jahre später als normal angefangen, sondern als ich den ersten Zug nahm, also kiffte, hatte ich schon fast alle sexuellen Freuden erlebt, war ein Spitzensportler gewesen (16 Kämpfe, 14 Siege und zwei Unentschieden), ich war in der Lage 5 Kilometer ohne anzuhalten zu rennen, ich verdiente meinen Lebensunterhalt schon seit fast zwanzig Jahren, (seitdem ich mit dreizehn unechten Schmuck auf dem Inclán-Markt verkauft hatte, kannte in der Liebe alle Rituale und schrieb Poesie, wenn mir der Schwanz danach stand. Und hatte, wegen der Zweifel, meine persönliche Psychoanalyse 1958 mit 18 Jahren begonnen.

Also wenn ich mir das recht überlege, habe ich meine ersten Zug nicht getan, um die Schwarze zu bumsen.

Ich erinnere mich jedoch, zwei- oder dreimal daran gezogen zu haben und von inexistenten Schatten im Zelt heimgesucht worden zu sein, aber doch irgendwie existent, das heisst, ich habe am eigenen Leib erfahren, was man als Illusion bezeichnet, die sich von der Halluzination unterscheidet, weil da alles Kreation ist, während sich in der Illusion etwas verformt, was bereits zuvor besteht.

Ich begann trostlos zu lachen, ich hatte die Existenz des Unbewussten entdeckt, 11 Jahre nachdem ich meine Psychoanalyse begonnen hatte. Ich rauchte Zigaretten von 9 Jahren an, mit 13 rauchte ich bereits wie ein Schlot, so richtig tierisch, bis mir mit 52 die Lungen zerplatzten, und ich kurz davor war zu sterben oder fast gestorben wäre und fühlte mich auferstanden, liess daher das Rauchen sein, von Zigaretten natürlich, die ich niemals mehr rauchen würde, und ich liess auch das Krautkiffen sein, das in Wirklichkeit Hasch war, mehr als fünfzehn Jahre seitdem ich in Spanien lebte und ein paar Jahre lang war alles nur Gerede.

Ich erinnere mich an eine Begegnung bei mir zu Hause mit Cesar, wie wir zu Mittag assen und wir weggingen, um ein paar Schritte an der Luft zu tun, und er konnte nicht glauben, dass ich auf nichts abfuhr, weder auf Zigaretten, noch Hasch, noch Wein, noch Bier, auf nichts, ja doch ... ich verbrachte Stunden im Gespräch mit allen. Ich verdiente ein bisschen weniger Geld, aber diese Monate, nachdem ich die Klinik verlassen hatte, wo ich fast zwei Monate todkrank eingesperrt gewesen war, waren die glücklichste Zeit meines Lebens.

Ich war so glücklich, mich wie ein Gedicht oder eine Blume aufrecht halten zu können. Mit ein wenig Essen, etwas Papier, Wasser und Licht. Ich las mit Freude und hatte in jenen Monaten (eineinhalb Jahre) alle Ideen, die gegenwärtig mein gesamtes Dasein bestimmen und das Dasein der Gruppe O.

Im November 1993 ermordeten sie meinen Sohn Pablo. Ich war soweit, dass ich fühlte zu sterben, fühlte bereits tot zu sein, aber ich fing nicht wieder an zu rauchen und machte mit allen Projekten weiter, mit denen Pablo zum Teil etwas zu tun hatte: Verlag, Zeitschrift Der Indianer aus dem Jarama (unter den zehn besten Zeitschriften spanischer Sprache) die Schule und, vor allem, die Gruppe Freud, wo er, eine Woche nachdem er ermordet wurde, sein Studium der Psychoanalyse begonnen hätte, aber ich fing nicht wieder an zu rauchen.

Ich machte weiter durch den Kauf meiner Praxis in Madrid, die ich vor zwei Moanten erst bezogen hatte, und unerklärlicherseise begann ich zu reisen. Deutschland, Malaga, Kuba und schliesslich, noch einmal, Buenos Aires, zusammen mit fast meiner ganzen Familie und einigen O-Psychoanalytikern aus Madrid, aber ich fing nicht wieder an zu rauchen.

17

DER WUNSCH DES PSYCHOANALYTIKERS

- Der Wunsch des Psychoanalytikers ist eine Interpretation, vor der Arbeit des Interpretierens gibt es keinen Wunsch.

- Es ist ein zeitlicher Ort, auf Sätzen reitend zu erreichen, nicht zu Fuss.

- Wer zahlt, zahlt um zu wünschen, er lässt sich vom Begriff der Übertragung bestimmen.

- Analytische Beziehung: ich muss eine nie erlebte und erwünschte Beziehung erleben. Ich muss leben und wünschen.

- Den Fall zu übernehmen heisst, sich dem Hin und Her der Übertragungen zu unterwerfen. Gerade da taucht das Geld auf.

- Damit ein Patient mit seiner Psychoanalyse beginnt, reicht es mit dem Wunsch des Psychoanalytikers. Wenn der Patient sagt "ich möchte Psychoanalytiker werden" reicht es nicht mehr mit dem Wunsch des Psychoanalytikers.

- Um die Beziehung mit meiner Mutter aufrecht zu erhalten, bin ich fähig die Zivilisation zu zerstören.

- Wenn ich auf dem Weg kein Geld finde, befinde ich mich niemals auf dem Weg. Das Geld, das ich auf dem Weg finde, ist bereits festgelegt.

- Ein Stil ist etwas, was sich niemals ereignete, deswegen ist er unwiederbringlich, er muss etwas hervorbringen, was sich noch nie ereignet hat.

- Wer die Ungewissheit nicht erträgt, kann weder Dichter noch Psychoanalytiker noch irgendetwas anderes sein.


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