INDIO GRIS

EINPERSONEN-ZEITSCHRIFT ZUR ANSAMMLUNG VON MÜLL
   NR. 29 JAHR 2000 DONNERSTAG 14. DEZEMBER
ES FUSIONIERT, LEITET, SCHREIBT UND VERANTWORTET: MENASSA 2000

WIR KÖNNEN ZWAR NICHT SPRECHEN, DAFÜR TUN WIR'S IN MEHREREN SPRACHEN
SPANISCH, FRANZÖSISCH, ENGLISCH, DEUTSCH,
ARABISCH, PORTUGIESISCH, ITALIENISCH, KATALANISCH


INDIO GRIS IST PRODUKT
EINER FUSION
DER GLANZ DES GRAUS
UND
DER INDIANER AUS DER JARAMA
DIE ZUKUNFTSTRÄCHTIGSTE FUSION DES 
21. JAHRHUNDERTS

Indio Gris


 INDIO GRIS NR. 29

 1

 Es ist als ob allen meinen Geschichten die Geschäftsabteilung fehlte. Viele Leute leben von meinen Geschichten, und ich muss arbeiten, um zu leben.

 Es gibt Leute, die meine Verse benutzen und damit Preise gewinnen, und ich bin weiterhin für die Presse und ihre klugen Köpfe ein fast unbekannter Dichter.

 Ich habe fast Tausend mit perönlichen Küssen erweckt.. Wenn ich einmal im Sterben liege und einen persönlichen Kuss brauche, muss ich das in bar bezahlen.

 Eines Tages wird jemand zu mir sagen: Menassa Ihnen fehlt eine Geschäftsabteilung.

Und ich werde einfühlsam entgegenen:

Auch ich wäre gern die Freundin des Regierungspräsidenten.

2

Ich hättte gerne gewusst, was sich die Regierungspräsidenten in Nizza untereinander verabreichten, um drei Nächte und ihre drei Tage wach zu sein. Wenn wir dem Proletariat das gleiche Mittel verabreichen würden, könnten wir die Warenproduktion um das Doppelte erhöhen.  Obwohl die Armen schliesslich also wirklich  ganz schön müde waren. Señor Aznar zum Beispiel schien Señor Aznar zu sein, aber in Zeitlupe waren am deutlichsten die Fehlbewegungen des Präsidenten beim Sprechen zu sehen. Seine Bewegungen sind kurvenlos, sie sind irgendwie viereckig, starr, nach oben oder unten, nach links oder rechts, vorn oder hinten. Mit seinen schneidenden Bewegungen verwandelt er Kurven in Abründe, ein einfaches “Guten Tag” in eine Auflage der Regierung, ein Lächeln in eine Grimasse.

3

Was wahrhaftig sehr gut herauskam war, dass in 8 Jahren sich die europäische Union französich-deutsches Imperium nennen wird, und bevor fünf Jahre um sind,  werden wir, natürlich als Europäer, den Rinderwahnsinn auf der granzen Welt verbreitet haben. Und wenn uns jemand fragt, warum wir eigentlich die ganze Menschheit vergiften, werden wir darauf entgegnen so wie es die Europäer tun: da wir keine Haushaltsmittel hatten, haben wir die Kontrollen abgeschafft, da wir  in England keine Haushaltsmittel hatten, studiert niemand mehr Medizin, da wir keine Haushaltmittel hatten, haben wir die Psychoanalyse verboten.

4

Nizza öffnet für die Länder des Ostens ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten: Arme, Reiche und  Allergegenärmste.

5

16. Juni 1978, Madrid

Liebes, zwei Briefe auf einmal von dir, seit langem erhielt ich nicht zwei Briefe auf einmal von dir. Die stimmten mich fröhlich. Ich zeigte aller Welt die Briefe. Ich las die Briefe mehrmals. Mehrmals dachte ich an unsere Gespräche aus früheren Zeiten.

 Mein Leben ändert sich allmählich, ganz langsam, weiss Gott in welche Richtung. Mit einer Art Kleinstdrucker zu Hause, einer Vervielfältigungsmaschine, einer elektrischen Maschine mit vier verschiedenen Buchstabentypen wird alles möglich, wenn es um eine Veröffentlichung geht. Das einzige, was uns zur Vervollständigung des Prozesses des Verlegns fehlt, ist das Binden. Wenn wir uns Mühe geben, können wir 700 Exemplare von jedem Buch veröffentlichen.

 Nach und nach wird es uns gelingen, von unserem Schreiben zu leben.

 Mir geht es gut, das geht für mich aus meinen letzten Schriften hervor; ausser den erwähnten Büchern schrieb ich am 25. Mai ein 13-seitiges Gedicht zu Ehren der Revolution vom 10. Mai und einen wunderbaren  16-seitigen Brief Brief an Sergio, wo ich einen Versuch zum Aufbau einer Gruppengeschichte unternehme.

 Zur Zeit schreibe ich lieber nicht, sondern möchte eher das bisher Geschriebene veröffentlichen, wenigstens die Gruppe Madrid, etwa 17 Titel,  von denen vier aus meiner Feder stammen.

 Ganz allmählich, so dass es fast niemand merkt, mache ich mir die Kultur zu eigen,  und weil wir gerade dabei sind, möchte ich dir sagen, dass ich alles Geld, das ich produzieren kann,  für Briefe, Veröffentlichungen und die Verbreitung von Veröffenltichungen ausgebe.

 Ausserdem möchte ich, dass du den Leuten erzählst, wenn noch Leute in Buenos Aires übrig sind, dass ich nicht unsterblich sein möchte, weil ich bereits unsterblich bin, und das einzige was mich interessiert ist, 200 Jahre zu leben, und zur Zeit ist das mit den 200 Jahren das Ernsthafteste worüber ich nachdenke.

 Liebes, Liebes, ich verspreche es dir, Europa wird in ein paar Jahrzehnten seine surrealistische Bewegung vergessen. Unsere Schriften werden uns nach und nach jede Vergangenheit vergessen lassen.

 Die Gruppe 0, das sehe ich gerade jetzt ganz klar, ist mehr als ein simpler neuer Stil. Sie ist, wie man sagt, eine Revolution aller Stile. Die Gruppe 0, ihre Schriften legen jede Art des Sagens, jede Art des Lebens, die vor uns bestand, auf die Goldwaage.

 Zur Psychoanalyse möchte ich sagen, es handelt sich dabei um eines der wertvollsten Instrumente, die uns zur Verfügung stehen. Etwas, das in unserer Jugend begann, damit möchte ich sagen, dass die ins Spiel eingebrachte Leidenschaft die Bewegung unsterblich macht. Unter uns wird es immer die Psychoanalyse geben.

 6

 ES EREIGNETE SICH NIE
ES GESCHIEHT NICHT
ES IST NUR ZU LESEN

 KOMMENTARE ZU POETA CONDENADO, DER VERURTEILTE DICHTER

 Kommentar 1:

 “Wissen loslassen um zu wissen”

 Ein Mensch, Dichter, Psychoanaltiker, auf jeden Fall dazu verurteilt es zu sein, spricht zu uns aus den Seiten dieses grundlegenden Buches, herausgegeben vom Verlag Gruppe 0, im Rahmen der Sammlung “Narrativa 2000”.

 Das Buch enthält Aufzeichnungen und Zeichungen des Aurtors vom Sommer 99. In dieser ausgezeichneten Verbindung von Wort und Zeichenstrich, in diesem Rahmen, mit dieser Art der Darstellung, zerpflückt Menassa Satz um Satz ein Theoretikum der Öffnung, das Produkt seiner wissenchaftlichen Arbeit auf einem Gebiet: Poesie und Psychoanalyse, also Psychoanalyse. Wir dürfen nicht vergessen, dass ein Dichter sich dazu aufmacht, Direktor einer Schule für Psychoanalyse zu sein.

 Der Text, den er uns als Manifest vorgestellt hat, und der zeitweise auch Staut ist, eine neue Verfassung, ein Gesetz der Gesetze.

 Manifest 99 o der der verurteilte Psychoanalytiker;  ich verstehe es auch als Manifest des verurteilten Dichters. Als Manifest setzt dieser Text ein Zeichen  der Nichtumkehr. Es  zu lesen heisst,  sich einer bedeutenden Dimension des Menschlichen zu nähern., wo wir erkernnen, da hat sich wenigstens ein Mensch eingerichtet, ein Autor, der von einem Gedanken bewegt wird:

“Wenn man nicht selbst kann, wird niemals jemand etwas können.” Eine wunderbare Erfindung, die einen grundlegenden Spalt eröffnete, der jenen vorhergehenden Zweifel  zu Staub zerreibt. “ Solange es einen Menschen gibt, der es nicht mit dem Menschen auf sich nimmt, wird es keinen Menschen geben.”

 Ein Mensch, der ununterbrochen neue Wege erfindet, und uns immer erzählt, war dazu notwendig, um zu wünschen und zu arbeiten, damit ein neuer Weg enstünde.

 Diesen Text zu lesen und weiterhin der gleiche zu sein,  ist unmöglich. Der Text versetzt uns harte Schläge, seine Behauptungen knallen wie Peitschenhiebe, die unsere Gedanken entzünden, unsere Moral, indem sie unsere Art zu sein, zu leben, zu schreiben, unseres eigenes tägliches Leben  miteinander in Verbindung bringen.

 Fernando Amez Miña

 Kommentar 2:

 Zum erstenmal halte ich ein Buch von Miguel Oscar de Menassa in den Händen und ich finde, es ist ein Text,  zu dem ein Kommentar mit wenigen Zeilen unmöglich wäre,  denn beim Lesen muss man einen Halt einlegen, vom Buch aufsehen, um über das Geschriebene hinaus lesen zu können.

 Von den verschiedenen Menassa: Vater, Arzt, Liebender, Dichter, Schriftseller, Psychoanalytiker etcetera, ist es vielleicht der Liebende, der am besten definiert, was er in allen seinen Strichlinien, den geschriebenen und den gezeichneten herausschält.

Liebender seiner 59 gelebten Lenze, die vielleicht ziemlich anders waren als in diesem Buch dargestellt. Und er sehnt sich wie die Liebenden nach jenen Jahren in Buenos Aires. Und er zögert als Liebender, soll er den Schritt tun und jenes Flugzeug nehmen, um bei  seinen tiefempfundenen Tangos Zuflucht zu suchen, oder soll er sich ruhig aber immer wachsam verhalten.

 Miguel Oscar Menassa zeigt uns mit leichter Feder schonungslos eine Abfolge von Gedanken und Wünschen auf, wie sie Tag täglich jeder Passant hat, für den jedoch aufschreiben heisst,  ein unaussprechliches Geheimnis presizugeben. Hier sagt uns der Autor, dass sie weder so geheim noch so unaussprechlich sind, nicht einmal so individuell, es sind Dinge, die auch ihm einem grossartigen Mann passieren: “ich bin wieder einmal einsam, wie es sich für einen grossartigen Mann gehört oder einem grossartigen Einsamen....”.

 Wenn wir das Buch irgendwo aufschlagen, stossen wir auf Sätze, die uns nicht weiterlesen lassen, denn die Inhaltsdichte zwingt den Leser umzukehren und zu denken, dass er etwas übersrpungen hat, aber doch nicht, beim Weiterlesen findet er die Weils für fast alles.

 Einschmeichelnd wie der Liebende lässt er uns Sätze vollenden, und so werden wir zu Komplizen seiner Verurteilung.

 Der Liebende zum lieben verurteilt, ohne sich einer Bestrafung entziehen zu können, die ihn gleichzeitig auch unterjocht.

 Hin und wieder Daten aus seinem dichtgedrängten und schnellen Leben,  lernen wir durch Pinselstriche das kennen, was uns nicht, weil unbekannt, weniger direkt erscheint. Er verbindet durch einen dauernden und überlegt ungeordneten perfekt strukturierten Strom von Gedanken,  wie die Grundstützen der Psychoanalyse, des Lebens: Sex, Geld, Arbeit, Trieb, Wunsch miteinander..

 Ohne Angst davor, in die Arena hinabzusteigen, sielt er sich in allen seinen Aufzeichnungen, und zeigt manchmal didaktisch brutal Dichtern, Psychoanalytikern, Mitgliedern der Gruppe 0 und anderen Lesern die nackte Wirklichkeit der Scheisse, durch die wir gehen und darüber hinwegehen.

 Der Dichter des Lebens, verurteilt einsam zu sein, lässt diese Grösse des Gefühls der Einsamkeit, nicht des Alleinseins, druchscheinen: Unabhängigkeit, schliesslich und endlich. Laster aufgeben, um höher zu steigen, und so sagt er: “Wenn ich in diesen Höhen reise, reise ich lieber allein.”

 Liebender des Wunsches zur Bindungslosigkeit der Individualität verurteilt, lesen wir: Liebes, wir sollten unsere wahrhaftige Liebesbeziehung beginnen, jeder wird das sein, was er ist, und das wird wohl wunderbar gewesen sein.”

 Er bringt uns im Laufe seiner guten -  zuvor, das ja, gut bezahlten - Arbeit in einen  von der Illusion  verdrehte Gedankenwelt und zu Fragen ohne Antwort. Dieser Liebende, der uns auf jedem Seitenrand mitreisst bis zu einem Endlos, denn seine Verurteilung geht weiter über diesen Text hinaus.

 Es ist wirklich einerlei, wo genau wir diese Verurteilung zwischen Titel- und Rückseite zu lesen beginnen. Indem er uns zu Mitbewohnern der Zelle des Dichters macht, lässt er die Verurteilung in uns zu Substanz werden, wie es jenem Montechristo erging, der seine Verurteilung mit Weisheit erfüllte, seine Arbeit mit Geld und seine Liebe mit Grausamkeit, und es ist nämlich so, wie Menassa sagt: “ ...ohne Liebe kann man nicht leben, aber ohne ein wenig Grausamkeit kann man nicht alt werden. ....”

 Mercedes Navarro

 Kommentar 3:

 Poesieprosa, Prosapoesie, verurteilter Dichter, verurteilter Psychoanalytiker, oder umgekehrt. Poesie und Psychoanalyse, Psychoanalyse und Poesie; ein von der Gruppe 0 in der Psychoanalyse bearbeiteter Bereich, der zum erstenmal betreten wurde und zwar vom Autor des vorliegenden Buches.

 In Form eines Tagebuchs geschrieben –  im Monat August, im Jahr 1999 – in Hefte und Tage unterteilt, folgen Geschriebenes und Daten Schlag um Schlag aufeinander, hintereinander, übereinander. Gedanken, geschrieben  um als Gedanken bezeichnet werden zu können, die im Realen der Poesie ein Zeicchen setzen, im Realen der Psychoanalyse und den Zeichnungen, Gesichter des Wesens in seiner menschlichen Dimension, Widerspiegelung des Gruppengedankens und der Einmaligkeit jedes Menschen.

 Ein Manifest ist immer eine Grundsatzerklärung in Form eines Programms mit Blick auf das Kommende.  Ein Punkt-und-Weiter und gleichzeitig Absatz. Mit den ersten Zeilen zeigt Menassa die wesentliche Spaltung jedes Menschen auf; diese doppelte Dauerdimension zwischen dem, was er tut und dem was er tun soll; zwischen dem, was er in jedem Punkt ist, unverzichtbar – seine Sexualität – und sein Streben. Illusion nennt er es: der sublimierter Wunsch, das, was seine Spur hinterlassen wird – die ihm zustehende – im Gesellschaftlichen. Und so wird diskutiert – bezweifelt – aufgezeigt im Verlaufe dieser 83 warmherzigen Seiten, reines Werden eines Schriftstellers, der sich der Arbeit unterzieht, es zu ein, in beiderlei Richtungen, die ihn bestimmen: Poesie und Psychoanalyse.

 Menassa vermittelt uns – ein theoretisches, notwendiges Buch für diejenigen, die Psychoanalytiker werden wollen –der Verzicht  sei nicht nur nötig, sondern jeder Mensch  solle seinen eigenen aufbauen, und es gebe keinen anderen Weg als den, der jeder einzelne bereit ist, für sich zu bezahlen. Und obwohl es ums Bezahlen geht, gilt hier nicht das Geld, das Glück, die Familie, d.h. die Einflüsse, denn das Leben ist ein Spiel, das man weder gewinnen noch verlieren kann. Er vermittelt uns, jede Schuld sei symbolisch, unauslöschlich. Das Gute tue niemandem gut, der, der nicht kann, kann nicht und diese Wahrheit – schwer und einfach – ist Gesetz.

 Das Umherschweifen im Buch von war von Anfang bis Ende eine leidenschatfliche Aufgabe bei dem Versuch das Mysterium aufzudecken, das hinter dem Adjektiv versteckt ist, das den Autor mit “verurteilt” belegt, obschon die Lösung bereits den Sätzen innewohnt, die dieses Werk eröffnen. Die Einsamkeit kann kein Hindernis sein, können oder nicht können, kann kein Hindernis sein: die Grösse liegt im Weitermachenwollen und das ist eine Entscheidung, die das Wesen eines Menschen verändert, der fatalerweise zum weitermachen bestimmt ist.

 Wir beglückwünschen den Verlag Gruppe 0, die Psychoanalytiker dort, woimmer sie sich gerade befinden, die in jeder Seele eingesperrten Dichter, den Autor für die Grösse, Zeuge zu sein für seinen Einsatz im Spiel, im Schreiben.

 Concepción Osorio

 7

 EINE LEIDENSCHAFTLICHE LIEBE
EIN GRENZENLOSES BEGEHREN
EINE FRAGLOSE ZÄRTLICHKEIT

 Ein Buch von Miguel Oscar Menassa
Für ein besseres Vertragen mit seiner Lebensgefährtin an Feiertagen
Und an dem einen oder anderen Arbeitstag

BRIEFE AN MEINE FRAU
            Von Miguel Oscar Menassa

Der Autor dieses Buches macht sich eine Formel des literarischen Ausdrucks zu eigen, die berühmte Vergänger hat, sowohl bei Gedicht- wie auch bei Prosatexten. Seit Horaz mit seiner Epistula ad Pisones. Seit Carcilaso und Boscan. Seit Montesquieu, mehr oder weniger gefolgt von Cadalso, Goethe, Dostojewskij.... Briefe sind ein Mittel, um das Werk und die Mystik  mit Theresia von Avila zu eröffnen, und die Dichtkunst mit Rilke. Es ist eine bewegliche Gattung. Vertrauen und Theoretisieren können aufgenommen werden, Realismus und Idealismus. Ich habe den Verdacht, nach dem, was ich davon weiss, dass es die ideale Gattung für die Persönlichkeit  Oscar Menassas in  Sachen Literatur und vielleicht auch in Sachen Temperament ist. Daher erscheint es mir intelligent, das er sie in dieses neue Produkt seines unermüdlichen Schaffens aufgenommen hat.

Er ist – so wie ich das sehe – vor allem Dichter und Psychologe und in dieser doppelten – und vielleicht konsolidierten Hinsicht erscheint dieses Buch. Wollte sagen diese Essays, wollte es sagen, denn einige dieser Seiten sind im Grunde genommen kleine Essays zu sozialen Fragen. Was jedoch hervorsticht, ist die lyrische Verbreitung. Natürlich kreuzen sich, überschneiden und ergänzen sich der Dichter und der Psychologe, denn die Poesie entsteht in psychologischen Bereichen des Ichs, immer ein wenig vereinnahmend. Menassa ist ein eher subjektiver Schriftsteller,  und das holt er für die Lyrik herein.

Er ist auch Taucher in Binnenmeeren und menschlichen Reaktionen und das begünstigt seinen chaotisch-poetischen Stil.  In einer Weise, so dass diese Briefe zeitweise den Rang eines Prosagedichts haben.  Eine andere Stilmöglichkeit, die seine Unruhe berührt. Das Prosagedicht wurde seit Baudelaire von Symbolisten und  Surrealisten geschätzt und auf spanisch wurde es sozusagen bereits “kanonisiert”, dank der bedeutenden Untersuchung von Guillermo Díaz Plaja. In den Texten Menassas sind einige Gedichte eingefügt, aber das Grundlegende ist die poetische Behandlung der Prosa an sich, was jeder Satz an Konnotativem gegenüber der blossen Denotation hat, sowie die Unterstützung beim Erreichen der Substantialität.

 Die Gattung bietet auch der Fiktion einen Platz. Die Briefe sind manchmal eigentlich  gar keine und der Adressat kann erfunden sein.

Das erste kommt bei Menassa vor; er hat eher persönliche Kommentare als Brief geschrieben.  Das zweite, der-die Adressat-Adressatin ist real und wird von der Überschrift her definiert.  Jedoch in dem Masse, wie wir in der Lektüre fortschreiten, entfernt sich diese zweite Person vom Diskurs, verliert an Bedeutung, vielleicht weil der Wert des Buches eher – einmal von der realen Liebe abgesehen - als Instrument anzusehen ist,  durch das man die Welt sieht. Eine Welt folglich durch Liebeshaltung gefiltert, betrachtend -  und bewertet – von demjenigen, der ein geliebtes Wesen in seiner Nähe hat. Das ist gewiss nicht wenig, aber die Rolle des Adressaten verschwimmt. Das wird in den letzten Briefen korregiert, in denen die schweigende Hauptrolle wieder der vermeintlichen Leserin zukommt. Dann nämlich bringt schon eine gewisse Entmutigung den Dichter an den  geheimen Zufluchtsort Liebe. Es ist der Trost, den man sucht, mit dem Wunsch, ein Kuss und die Morgensonne mögen in der Geschichte selbst fassbar werden.

 Der ideologische Stoff weisst existentielle Bereiche und moralische Züge auf. Der Dichter weiss, wir sind “dazu verurteilt weiterzuleben”,  obschon er selbst lebensbejahend und manchmal hocherfreut ist. Er weiss auch, dass es da eine grausame Welt gibt, vor der man nicht die Augen verschliessen kann, obschon er pragmatisch ist. Die persönlichen Umstände häufen sich und sind wie Brillengläser zum Betrachten und Verändern von Situationen da. Liebe, Sex und Poesie bestimmen in gewisser Weise die Beschaffenheit. Nicht der Sex wird sublimiert, sondern seine Freihheit und seine Vermenschlichung.

 In diesen Briefen gibt es viel Nachdenken über das Selbst; zugegebenermassen ein kleines thematischen Chaos, das von der seiner Tendenz zum Para-Surrealismus begünstigt wird, den der Autor pflegt, und zwar in Abhängigkeit von seinem Beruf als Psychoanalytiker. Denn wir begegnen auch ästhetischen Normen, wie “die Poesie ist das unbewusste Denken” und moralischen, wie “die Liebe entsteht aus der der Gattung entrissenen Bruchstücken”.

 Fliessende Prosa, hin und wieder auf idealistischem Höhenflug, der nicht darauf besteht die  roheste Realität zu streifen wie Ausdrücke von verbaler Leichtfertigkeit Es fehlen auch keine – warum sollten sie fehlen? - Strukturen und Wörter argentinischer Herkunft.

 Dermassen vielschichtig  und mannigfach ist dieses neue Buch von Oscar Menassa, der an seinem persönlichen Stil zu erkennen ist, und aus einem halben Hundert  Briefen “sui generis”, in denen er vor allem in seiner Natur als Dichter glänzt.

“Dieser Roman ist ein Denkmal an den Wunsch und nicht an seine Befriedigung, und der Wunsch passt weder in Formen noch in Normen.”

                                       Leopoldo de Luis

“Menassa macht aus der Erotik eine wahrhaftige Enzyklopädie der sexuellen Beziehungen”.

Juan-Jacobo Bajarlía


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