INDIO GRIS

EINPERSONEN-ZEITSCHRIFT ZUR ANSAMMLUNG VON MÜLL
   NR. 12   JAHR 2000 DONNERSTAG 17. AUGUST

ES FUSIONIERT, LEITET, SCHREIBT UND VERANTWORTET: MENASSA 2000

WIR KÖNNEN ZWAR NICHT SPRECHEN, DAFÜR TUN WIR'S IN MEHREREN SPRACHEN
SPANISCH, FRANZÖSISCH, ENGLISCH, DEUTSCH,
ARABISCH, PORTUGIESISCH, ITALIENISCH,KATALANISCH



INDIO GRIS IST PRODUKT
EINER FUSION
DER GLANZ DES GRAUS
UND
DER INDIANER AUS DER JARAMA
DIE ZUKUNFTSTRÄCHTIGSTE FUSION DES
 21. JAHRHUNDERTS

Indio Gris


         INDIO GRIS NR. 12

 1

      DIE MEMOIREN DES DOKTORS RAFA SANCHEZ

 Ganz deutlich war ich an einem Extrem des Lebens angekommen, wenigstens des meinigen.

 Nichts zog meine Aufmerksamkeit auf sich, nicht einmal meine eigenen  geschriebenen Bücher. Jene Frauen die einmal die einzige mögliche Welt waren, riefen bei mir einfach Gleichgültigkeit hervor, und in einigen  besonderen Fällen, Ablehnung.


Die grossartigen Gespräche mit den grossartigen Freunden, die während meines ganzen Lebens der Odem meiner Existens gewesen waren, langweilten mich für gewöhnlich oder waren mir unerträglich.

 Gesundheitlich fühlte ich mich gut, gesund, seit ich vor drei Jahren das Rauchen und den Alkohol aufgegeben hatte,  und ich achtete auf meine Ernährung. Ich fühlte mich stark, voller Lebenslust, es war jedoch klar, dass trotz meiner Lebenslust die Umgebung, die Leute um mich herum, die Landschaft um mich herum, für mich jegliches Interesse verloren hatte.

 Ich stand jeden Morgen um sieben Uhr auf, badete, rasierte mich jeden zweiten  Tag, zog mich an, trank einen Tee ohne Zucker und machte mich auf den Weg zur Arbeit.

 Die Arbeit machte ich gut, meine Kunden zahlten und es sah so aus, als täte es ihnen gut, ach ja, ohne grosse Begeisterung, aber die Arbeit machte ich gut.

 Danach las ich immer ohne Begeisterung die Tageszeitung, den Veranstaltungskalender, und ich spazierte jeden Tag von Vortrag zu Vortrag, ohne dass das Thema von grösserer Bedeutung für mich war, eher die Situation an sich warf ein Licht in meine vollkommene Dunkelheit. Nicht, dass ich die Themen verstanden hätte oder mir die Frauen,  die dort hinkamen,  gefallen hätten, sondern  einige der Vortragenden legten eine solche Begeisterung an den Tag, dass sie in bestimmten Augenblicken auf irgendeine Art und Weise damit erreichten, dass auch ich mich begeisterte.

 Eines Tages, empfahl mir eine ehemalige Geliebte, Lola de Turbia, mit der wir Unvermutetes erlebten, also zwei Leute wie wir aus gutem Hause, für die wir uns hielten, um ein Gespräch mit Dr. Menassa zu bitten.

 Ich selbst gehe seit zwei Jahren zu ihm und er, sagte Lola hat mich von einer unvergesslichen Depression befreit, es ging mir schlimmer als dir und, sieh mich an, voller Leben, voller Hoffnung.

 Ich sah sie erstaunt an, dass sie, statt mich wie in früheren Zeiten zum Bumsen aufzufordern, mir den Rat gab, mich mit einem Mann zu unterhalten. Sie sagte das, als ob sie mich hätte denken hören, mit Nachdruck

 Das ist nicht irgendein Mann, das ist ein argentinischer Psychoanalytiker, der seit mehr als 20 Jahren in Madrid wohnt. Er ist sehr freundlich, sehr herzlich, schreibt Gedichte.

 In Wirklichkeit hörte ich nicht auf Lola und machte weiter vor mich hin, meinen Patienten tat es gut, mich langweilte weiterhin alles, ohne dass irgendetwas meine Aufmerksamkeit auf sich zog, aber das Leben  gefiel mir.

 An einem der vielen Nachmittage als ich den Veranstaltungskalender las, las ich etwas, was mich tief berührte, um 19 Uhr, TRAUER UND MELANCHOLIE von Dr. Menassa, in der Schule für Psychoanalyse und Poesie, ich dachte ein paar mal darüber nach und bei einigen der Male, empfand ich, dass meine Gelegenheit gekommen war. Ich würde ihn anhören und später beim Kolloquium würde ich  ihm von meinem Problem berichten oder würde um einen Termin bitten oder würde irgendwie auf mich aufmerksam machen,  und wenn er so zugänglich war, wie Lola meinte, würde er etwas merken und so würden wir die Beziehung aufnehmen.

 Zugegeben, an diesem Tag konnte ich nicht allem zuhören, was mir meine letzten Patienten sagten, ich war befangen in der Vorstellung einer Begegnung mit Dr. Menassa, obschon mir schien, Concha Estable habe gesagt, sie ginge in den gleichen Vortrag, und während einiger seiner Passagen, ich glaube ich schmeichle etwas damit, wenn ich sage, hörte sie diesem Mann begeistert zu, und dass sie sich oft vorgestellt hatte, irgendeine Art von Beziehung mit ihm zu haben, ich weiss nicht, sagte sie, nur um ihm nahe zu sein, würde ich um eine Analyse bitten.

 Sie unterbrach sich und stiess einen kleinen Schmerzensschrei aus aufgrund der Behandlung, die ich an ihr ausführte. Als ich merkte, dass die Geschwulst, die ich bereits einen Monat zuvor ertastet hatte, gewachsen war, bat ich sie um zwei oder drei Analysen und nahm die Gelegenheit wahr, um ihr zu sagen, dass ihr eine kleine Psychotherapie vielleicht gut täte.

 Ohne zu wissen, was ich tat und ohne ihn zu kennen, hatte ich ihm auf irgendeine Art und Weise eine meiner Patienten abgegeben. Ich kam sogar zu der Vorstellung, dass die Beziehung zu diesem Mann mein gegenwärtigees Leben verändern würde, weil ich eine zeitlang ganz das Gegenteil gewesen bin. Ich rauchte, trank, alles begeisterte mich, alle Frauen erschienen mir wunderschön und unterhaltsam und in meinen besten Jahren, so um die fünfzig, schlief ich bis zu drei oder vier Frauen täglich. Als ich fühlte, dass ich nicht gut war, oder es nicht ganz schafftte, mit Hilfe einer anderen Frau oder eines Freundes, schaffte ich es.

  Bevor ich wegging, sagte ich zu Concha Estable, sie solle auf mich warten, ich würde auch in den Vortag gehen. Ganz in diese Gedanken versponnen, während wir im Aufzug hinuterfuhren, empfand ich eine gewisse Zuneigung zu Concha, der ich lange in die Augen sah und ich glaube, ich bin da gar nicht so sicher, sie wurde rot als sie mir sagte:

 Was für ein wunderschöner Blick, Sie werden in ihrer Jugend ein schrecklicher Mann gewesen sein. Und ich sagte zu ihr mit grösster Gelassenhait, während sie die Aufzugtüren öffnete, als ob Dr. Menassa bereits angefangen hätte mich zu heilen,  bevor ich ihn überhaupt kannte.

   -          Obwohl ich ein bisschen weniger jung bin, bin ich immer noch schrecklich.

Und in diesem Augenblick fühlte ich etwas in meinem Genitalbereich, obwohl ich nicht versichern kann, dass auch ich etwas rot wurde.

 Der eiskalte Wind der ersten Januartage rückte die Dinge an ihren Platz,  und Concha wollte mich in ihrem Wagen mitnehmen, einem gelben Sportmodell mit 300 PS. Mit dem Rock über den Knieen, um ihn leichter zu bedienen, erschien mir Concha allmählich wunderschön, und während der Fahrt bis zum Parque del Oeste, verwechselte ich sogar zwei- oder dreimal das Röhren des Motors mit ihrem leisen lustvollen Stöhnen in meinen Armen. Sie merkte etwas davon, als sie beim Aussteigen aus ihrem Auto mir absichtlich sagte: ich war zu zerstreut, um es mir zu ermöglichen, ihr zu antworten, ich dachte gerade daran mit ihr zu schlafen, aber ich sagte ihr nichts und fast schlagartig, ohne es zu merken, sassen wir in einem Hörssaal mit Platz für 50 Personen, etwas gedrängt, und was am meisten auffiel, waren einige Ölportraits rings um den Hörsaal,  die einen wenig klar ansahen, aber durchdringlich.

 Es war eine angespannte Stimme, laut, klangvoll, leicht, mitreissend zeitweise einschmeichelnd, freundlich. Dr. Menassa liess die Worte dahinströmen wie kristallklares Wasser  eines ununterbrochen dahinfliessenden Stromes.

 Wir versuchen zu erkennen, welches diese zermürmende Kraft war, die einen Menschen gegen sein eigenes Leben angehen lässt. Welche? Und nach einem erschütternden Schweigen, der Schmerz, der auf diese Weise eine Persönlichkeit beugt, ein Leben.

 Concha Estable sah mich ab und zu an, als ob sie ihre Worte über Dr. Menassa und Lola bestätigen wollte; letztere war in Begleitung von Ludovica zu spät gekommen, sie bedeutete mir mit dem Hals: Das ist der Mann, der dich aus deiner Trägheit herausziehen wird, aus deiner Ohnmacht.

 In keiner Weise kann man das Problem erklären, fuhr Dr. Menassa fort, sondern bei dem Gedanken, dass der depressive Mensch einen Erzfeind hat, den er mit allen seinen Kräften veschwinden lassen möchte, oder wenigsten so bestrafen, dass der Tod dieser Strafe inne wohnt ausser diesem Mörderlehrling, in den sich der Melancholiker verwandelt hat, er weiss nicht, dass ER sein Opfer ist.

  Nachdem er seinen Feind kraftlos liegen lässt, hat er selbst keine Kraft mehr. In disem Moment hörte ich mich leise sprechen, so wie es mir passiert, Dr. Menasssa sagt, was mir passiert. Aber ich verstehe nicht, wen ich töten möchte, wer mich so sehr verletzt hat, den ich so sehr liebte, dass ich ihn jetzt auslöschen möchte.

Deswegen ( da ist das Schweigen, das Anstimmen des Schweigens gab es, damit jeder der Zuhörer, ich darunter, damit wir merken sollten, dass, was er sagen würde, in Wirklichkeit der wichtigste Grund dieser Begegnung war) ist es absolut notwendig, rechtzeitig einzuschreiten bei dieser Art Patienten, einen Tag später, ein paar Stunden später, heisst der Unterschied zwischen Leben und Tod. Und obwohl ich nicht müde werde, so oft es mir möglich ist, die Verantrwortlichen zu warnen, haben diese taube Ohren für meine Bitten und auf die Forderung von 50 Prozent der Bevölkerung hin, leiden einige mehr und andere weniger an Depression bis zu einem gewissen Grad.

 Und jetzt, ganz direkt, begann er von meinem Probelm zu erzählen:

 Tot oder tot im Leben, lustlos, gleichgültig, abwesend gegenüber allem, unfähig gerworden zu geniessen, unfähig geworden sich irgendeiner Freude oder Entspannung hinzugeben, leben sie, aber nichts geschieht mit ihnen von dem, was sie selbst glauben, dass es das Leben ist.

 Opfer und Mörder, vereint in einer einzigen Streicheleinheit.

 Concha Estable näherte sich meinem Ohr, um mir zu sagen: Was für ein herrlicher Satz., und ich empfand, dass ihre Stimme Stimme und Sreicheleinheit gleichzeitig waren, während ich entschlossen die Hand von concha Estable nahm, schaute ich sie in vollkommener Wollust an und auch abwechselnd die fast nackten Beine Ludovicas und die bezuabernden Brüste von Lola de Turbia.

Sobald Dr. Menassa seinen Vortrag beendet hätte, würde ich versuchen zu sprechen, eine Frage zu stellen. Währenddessen war seine Stimme ein Lied, das uns gestattete, mir und diesen drei Frauen, die mir wunderschön erschienen, uns in verrücktestem Takt anzublicken und gleichzeitg zu merken, dass wir mit einer Geschichte beginnen, die wir in irgendeiner Weise Dr. Menassa verdankten.

 Schlagartig noch ein frenetischer Satz: Der Sex ist das einzige, was dem Tod die Stirn bieten kann. Und Ludovicas Beine wiegten im Takt und Lolas Titten erhoben sich bis zu zwei Zentimeter und Concha Estable total verdorben durch die Worte drückte ihr rechtes Knie gegen meins und legte sanft und stürmisch eine ihrer Hände zwischen meine Beine. Ludovica, als sie wieder einmal zu uns hinsah, stiess auf Conchas Bewegung und errötet senkte sie den Kopf, vielleicht beschämt, vielleicht voller Lust.

 Wer aus dem Staunen nicht mehr herauskam, war ich, in wenigen Stunden veränderte sich mein Leben. Wie vor ein paar Jahren mit einigen Worten, die ich noch nicht einmal ausgesprochen hatte, und mit einigen Augenbewegungen hatte ich drei Frauen geil gemacht, aufeinander und auf mich. Das bisherige Ergebnis, und dabei war der Vortrag noch nicht zu Ende, war weitaus grösser als ich es bei allem Optimismus erwartet hätte.

2

 Bereits 1985 sagte ich: Das Schicksal spielt mir einen üblen Streich. Das Schreiben, die Kunst, die Liebe, etwas des Denkens würden sich nach und nach in der Politik auflösen.

                                                                               3

 Voller Hoffnung kann kein Mensch eine Aufgabe durchführen.

 Poesie, zerstückelter Juwel, damit alle von deinem Wunder berührt würden.

                                                                              4

                                                                25 JUNI 1985, MADRID

 Ich gehe nach Buenos Aires, aber ich weiss nicht, ob ich anderes kann als nur dorthin gehen.

 Wenn ich will, dass die Reise nach Buenos Aires ein echtes Geschäft wird, werde ich eine Politik entwickeln müssen. Grundsätzlich allen Geistern entsagen, sogar den eigenen. Ich muss auf offene Art und Weise sprechen können, zugänglich.

 Die Begegnung mit meiner Mutter in meinem Heimatland nach fast zehn Jahren muss etwas Wunderbares sein.

                                                                               5 

In Madrid haben die Leute Angst (also sie haben den Wunsch), dass ich in Argentinien bleibe. Ich denke ich hätte es lieber, es gäbe nicht so viel Kollektives Wünschen, dass ich für immer in mein Vaterland zurückkehre.

 Die Einsamkeit, mein Liebes, schrie der Verurteilte ist gut, wenn kein anderer Weg bleibt.

                                                                               6

                                                        5 JULI 1985, MADRID

 Liebe Schwester Norma in wenigen Tagen bin ich in Baires. Genau heute bin ich ein wenig zerstreut. Meine Produkte übertreffen mich. Mein armes Kind braucht Spielkameraden.

 Welche Freude und welche Angst!!Vom 26 Juli bis zum 7. September auf Reisen.

Buenos Aires, du bist schon so nah, ich habe dich,  mal der Papierkram vom Tisch, eine Flugreise entfernt.  

 Ich beharre darauf zu glauben, dass sich alles ändern wird.

                                                                               7

 Verhängnisvoll war deine Liebe zu mir. Liebes, ich erinnere mich, du warst wie eine verrücktgewordene Trommel, erbarmungslos geschlagen, den Tod rufend.

 Meine Liebe war all dies, was ich mit meinem Gesang schaffte. Heute übe ich für dich, akustische veliebte Schlange, eine gutturale Stimme, glühend, eine ungewöhnliche Stimme.

Ich gab ihr’s, ich gab ihr’s mit einem Hammer
Ich gab ihr’s, in der Absicht ihr’s zu geben.
Ich drückte ihren Kopf, ihr Herz
Ihre Illusionen zwischen den Wörtern.

                                                                               8

 Ich hoffe, dass ich das Unmögliche fertig bringe. Ich hoffe, aus mir selbst aussteigen zu könnern.

                                                                               9

                                                             SEPTEMBER 1982

 Im Buch Traumdeutung gibt es eine produktive Kenntnisstruktur, die die Theorie des Unbewussten hervorbringt. Eine Theorie, die nicht im Vorfeld in Freuds Arbeiten zuvor besteht, und noch weniger in den Arbeiten zur Psychologie oder Psychatrie der damaligen Zeit.

 Das Unbewusste beurteilt weder, noch berechnet es. Das Unbewusste spricht, nimmt vorweg und zwingt als Bedingungen des Seins auf:

 Es darf nicht unterbrochen werden, es muss aussprechen können, es muss die Bewegung der Assoziationen zugelassen werden, die sogenannten freien, die es selbst überbestimmt.


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