INDIO GRIS

EINPERSONEN-ZEITSCHRIFT ZUR ANSAMMLUNG VON MÜLL
NR. 10 JAHR 2000 DONNERSTAG 3. AUGUST 
ES FUSIONIERT, LEITET, SCHREIBT UND VERANTWORTET: MENASSA 2000

WIR KÖNNEN ZWAR NICHT SPRECHEN, DAFÜR TUN WIR'S IN MEHREREN SPRACHEN
SPANISCH, FRANZÖSISCH, ENGLISCH, DEUTSCH,
ARABISCH, PORTUGIESISCH, ITALIENISCH, KATALANISCH



INDIO GRIS IST PRODUKT
EINER FUSION
DER GLANZ DES GRAUS
UND
DER INDIANER AUS DER JARAMA
DIE ZUKUNFTSTRÄCHTIGSTE FUSION DES 21. 
JAHRHUNDERTS

Indio Gris


 INDIO GRIS NR. 10

1

 Ich habe beschlossen, 100.000 Exemplare meines Gesamtwerkes zu veröffentlichen. Auch mein poetisches Werk.

2

 Sich Worten zu unterwerfen, die nicht von einem selbst stammen.. Genau das muss ich jetzt, um etwas zu lernen.

3

 Ich beschäftige mich lange mit meinem Körper, wenn ich so weitermache, werden sich ein paar Beziehungen in meinem Bekanntenkreis verschlechtern, zumindest jene, die nicht mit meinem Körper zu tun haben.

4

 Sie kam und sagte völlig leidenschaftslos zu mir: dann werden die Stärksten allmählich schwächer und die Zeit wird sie auffressen.

 5

 Ich habe keine Freunde, sagte der Verurteilte, das heisst ich habe niemanden auf den ich vertrauen kann, um verraten zu werden.

 6

 Sie lebt von mir, glaubt aber sie lebe von Luft. Bevor sie stirbt, wird sie den Wahnsinn kennenlernen.

 7

 Gestern erhielt ich eine Kritik, die ich nicht verstand: Los, weiter, Menassa, leg dich nicht aufs Ohr, und danach erhielt ich noch eine Kritik, die ich auch nicht verstand: Die Portale zu öffnen, um Ihr Herz zu verschliessen, das ist nicht in Ordnung, Menassa!

8

 2. OKTOBER 1995,  MADRID

 Ich muss zugeben, ich habe fast alles falsch gemacht, wenn es sich um eine geeignete Politik handelt, um eine Reihe von Neurotikern einem lichtvollen Schicksal zuzuführen, deren zumindest sichtbarstes Gefühl der Neid ist.

 Und ich möchte nicht beleidigen, mich weder beklagen noch bemitleiden, alles falsch gemacht zu haben. Das Spielfeld verlassen, das möchte ich, alles das unterlassen, das zu etwas Gutem führt, was unter allen verteilt werden kann.

 Diesmal möchte ich einer von jenen neidischen Neurotikern sein. Meine Kleinigkeiten erledigen,  in dem Glauben, dass sie gross sind, weil sie mir gehören,  und nur ich habe etwas von den Ergebnissen, die, wenn auch nur klein, mir gross vorkommen, weil ich sie mit niemandem anderen teilen muss.

 Ausserdem bin ich grösser als viele andere, intelligenter als der Durchschnitt der Bevölkerung, anerkannt als Schriftsteller in den höchsten Höhen der Poesie, und ich kenne meine Arbeit sehr gut, um davon leben zu können, obwohl niemand das möchte, es wird mir im Leben besser gehen. In ein paar Jahren werde ich bei keiner Druckerei der Welt mehr Schulden haben,  und ein paar Frauen werden  schliesslich erleichert empfinden, dass ich nur noch für sie da bin.

 Ich werde mir einen Supersportwagen kaufen, nur Krawatten aus Naturseide tragen, nicht mehr mit verheirateten Frauen schlafen, das heisst, ich werde nie mehr mit meiner Liebe Paarbeziehungen etwas Gutes tun und werde mit meiner Lektüre aufpassen, ich werde nur die Bücher der besten Schriftsteller lesen, besser wenigstens als ich.

Ich werde mir von der Welt nehmen, was mir gefällt und was meinen kleinen Planvorstellungen dient und werde nichts geben. Und wenn jemand im Gegenzug für das, was ich mir genommen habe, mich um etwas bittet, werde ich ihm sagen, dass es mir nichts genützt hat,  und wenn mir jemand nachweist, dass es mir genützt hat, werde ich ihm sagen, möglicherweise nützte mir dieser Scheiss aufgrund meiner eigen Intelligenz, und so werde ich durch die Welt gehen, von niemandem geliebt, niemanden liebend, und alles bekomme ich für umsonst oder fast gratis, und weil alle Welt, wie ich sein will, und sie glauben, dass ich ihnen das zeigen kann, werde ich ebenfalls meinen Egoismus rentabel gestalten, und alle Welt wird in mir einen grossartigen Mann  sehen.

9

2. OKTOBER 1995, MADRID

 Noch nie war ich so hin- und hergerissen wie zur Zeit. Der Gedanke, Buenos Aires drei- oder viermal zu besuchen hat fast ganz Madrid gegen mich aufgebracht. In einigen Fällen hat man mich sogar schlecht behandelt und mir das Gehalt gekürzt, damit wurde es mir ungeheuer schwierig gemacht, meine Reisen unternehmen zu können,  und ich überlegte mir so ernsthaft wie noch nie , bis jetzt von der undankbaren Aufgabe Abstand zu nehmen, Idioten zu rehabilitieren oder mit meiner Arbeit, traurige schwarze Leidenschaften der Grösse nach zu ordnen, als ob es sich um grosse, herrliche Meeresperlen handelte.

Ich weiss nicht, ob ich anspruchsvoll bin, oder die Leute ertragen nicht länger meine Art, Musse und Zärtlichkeit zu leben. Dass wir alle ein bisschen grösser sein sollten, kann in keiner Weise bedeuten, dass ich ein toller Hecht werden muss, damit alle Menschen meiner Umgebung glänzen.

Es werden nur diejenigen glänzen, die trotz meines Lichtes einen Funken aussenden können, die übrigen, alle übrigen, egal wer die übrigen sind, werden im Dunkeln leben müssen.

Ich werde im April, September und Dezember nach Buenos Aires gehen, und wer diese destabilisierende Kraft nicht ertragen kann, soll sich nach etwas anderem umschauen, das heisst ja nicht, dass ich mich nicht mehr um Madrid kümmere, sondern dass Madrid nicht mehr die einzige sein wird, weil wir das schon gesagt haben, als wir jung waren: eine einzige Frau ist, höchstenfalls, die Mutter.

Ich rate ihnen, gebt ein wenig mehr Geld für eure eigene Psychoanalyse aus, die Dinge sehen nicht danach aus, auf eine Beerdigung ohne Blumen zu setzen.

Ich habe alles, was ich nicht wusste,  geliebt und begehrt, jetzt erwarte ich die Wirkung meiner Übertragung.  Ich fühle kein Grollen, weil ich einer Rasse angehöre, die auch aus dem Gefühl des Grollens heraus zu schreiben weiss. Mich verlangt nicht nach den aussergewöhlichen Freuden, die die Rache verspricht, weil ich bereits alle Freuden gehabt habe. Diesmal möchte ich nur, dass sie mich 40, 45 Jahre vor meinem Tod drei- oder viermal im Jahr Buenos Aires besuchen lassen. Das ist alles für jetzt.


10

 2. OKTOBER 1995, MADRID

Drei oder vier Besuche pro Jahr in Buenos Aires kämen in 40 Jahren auf 120 Monate. In den nächsten Jahren würde ich 10 Jahre in Buenos Aires leben, das würde niemandem schlecht bekommen, so hoffe ich mal, und gehe davon aus, dass ich noch 30 Jahre in Madrid lebe, damit hätte ich in Madrid ein halbes Jahrhundert voll.

In Wirklichkeit ist es der Gedanke, in keiner Stadt zu wohnen, sondern eher gleichzeitig all die Städte zu besuchen, wo die Poesie und die Psychoanalyse Grupo 0 heissen. Da mir keine grossen Ländereien hinterlassen wurden, um sie zu Pferde abzureiten, werde ich ein wenig im Flugzeug reisen und mehr noch im Internet, von einer Stadt zur anderen, als ob es grosse Ländereien des Lichts, der Hoffnung, der Schatten wären.

Ich werde neue Leben lieben, und werde all das nicht Gelebte leben. Ich werde mehr als einmal glücklich sein, dank meiner Arbeit, und manches Mal werde ich wiederum um das Verlorene weinen.

Aber niemals mehr werde ich gebunden an etwas leben, selbst nicht an einen wundervollen Gedanken.

Und niemals mehr werde ich gebunden an jemanden leben, selbst nicht an eine Menge.

Nicht einmal die Poesie wird es diesmal mit mir aufnehmen können. Diesmal geht es darum, in den nächsten 40 Jahren einen ruhigen Ort zum Schreiben entstehen zu lassen, nachdem ich 100 Jahre geworden bin, ein grossartiges Werk. Ich möchte sagen, mit Weisheit, ohne gross dabei Schaden zu nehmen, den getreulichen Neid, die feindliche Liebe, den dauerhaften Hass, die Wünsche nach nichts, die Widerstände der Leidenschaft, den Zufall der Regenschauer durchmessen zu haben.

Vor 20 Jahren versprach ich meinen grossen Verliebten,  stets das Schreiben mitzunehmen und sie zu lieben, wenn die Zeit gnadenlos auf ihre Körper einschlägt. Heute bin ich bereits in der Lage zu versprechen, die Welt mitzunehmen und sie nicht länger zu lieben, sobald sie ungeschickt würden und eine Seele haben wollten.

Das Altsein spielt die geringste Rolle. Der Versuch, die Vergänglichkeit der Jahre zu verbergen, ist das einzige Altsein.

Hier habt ihr mich, verjüngt und sogar gesünder als vor etlichen Jahren, nur weil ich mal daran gegangen bin, neue Wirklichkeiten zu erdenken.

Ich küsse alles, was sich küssen lässt aus dem alleinigen Wunsch heraus zu küssen, und ich beginne diesen neuen Weg meinen Versen entgegen.

Ich erwarte nichts, weil meine Verse alle Arbeit tun. Und wer bei so viel Licht blind bleibt, wird, obwohl er nichts sieht, Teil des Lichtes sein.

11

26. MAI 1985,  MADRID

Ich habe mich nicht von ihr entfernt, ich sorge für sie. Sie kann noch nicht für sich selbst sorgen. Ich bin glücklich, weil ich gemerkt habe, wenn ich möchte, dass wir alle voran kommen, ich vor allen, allen Dingen an meine Arbeit denken muss. Ich erinnere mich an alte Illusionen, wo alles gut ging. Jene Nachmittage, wo die Sonne ganz uns gehörte.

Leichte Kopfschmerzen halten mich in mir zurück. Ein Gedicht vielleicht könnte mich aus dieser Lethargie befreien. Es bleibt mir nur die Arbeit, Ängste abzubauen, das heisst,  ich werde ein paar Übungen machen müssen.

  GEDICHT

Ich bin wach, bin wach

Aber da ist Grauenvolles, das mich blendet.

Blut, Gewalt, wohlüberlegter Hass,

Ansehen, wie wir alle verfault riechen,

Deine Augen zerfetzt vom Atomregen,

Deine schmerzenden Küsse, deine verlorengegangenen Kinder.

Ich bin wach, bin wach

Aber da ist Grauenvolles, das mich blendet.

Massloser Ehrgeiz, Gier, Dreck,

Ausbeutung, Versklavung, Scheisse,

Dein von Zweifeln gespaltener Leib,

Dein schmerzender Schoss, dein Ekel, deine Scham.

Ich bin wach, bin wach

Aber da ist Grauenvolles, das mich blendet.

  GEDICHTE  UND BRIEFE AN MEINE VERÜCKTE GELIEBTE
JUNGE DICHTERPSYCHOANALYTIKERIN
DAS IST AUCH EIN BUCH

ES EREIGNETE SICH NIE
ES GESCHIEHT NICHT
ES IST NUR ZU LESEN

12

26. MAI 1985, MADRID

Ich würde gerne irgendeine Illusion zuende führen.

Ich muss nach Buenos Aires fahren, um meine Mutter zu besuchen. Was soll ich schon tun, es gibt keinen anderen Ausweg für meinen Kummer.

13

Der Mensch befreit sich durch sprechen, behaupten einige. Ein herrlicher Quatsch! Der Mensch aufgrund seines Seins, kann sich weder singend und schon gar nicht sprechend befreien, denn Sprechen ist Bedingung des Menschseins.

 Das heisst, ich strecke meine Hand aus und reiche nirgendwohin. Ich wünsche, ohne zu wissen, was ich wünsche, in dem Bewusstsein, dass das Reizvolle des Lebens darin besteht, nichts zu Ende zu bringen, sondern es nur zu versuchen. Sprechen, um diese Reihe unmöglicher Knoten zu sein, frei zu sprechen, aber um noch deutlicher zu beweisen, woran ich festgenagelt lebe, wer in mir ist, mein eigenes Sein, das ich nicht kenne.

                                                                              14

 Ich teile die Karten aus und spiele, ein Zeichen, dass zunächst Schluss ist mit den Toten. Und jetzt spielen wir so eine Art Schwarzer Peter: der austeilt, zeigt den Trumpf und behält ihn. Er ist der Vater auf der lebendigen Seite, die er darstellt. In dieser Geschichte, kommt Ödipus nicht dazu, seine Mutter zu ficken, weil der Papa von Ödipus ihm eine scheuert, und seiner Mutter sagt er in erstem Ton, so was macht man nicht mit dem Kind.

 In unserer Geschichte ist der einzige Blinde Teiresias weil er, wie alle Philosophen von der Vergangeheit lebt.

15

 Alle strömt auf mich ein, auch die Lektüre, deswegen habe ich vor fast allem Angst. Weil mich fast alles begeistert.

 Ich muss langsam die Angst verlieren, sogar Geld könnte ich haben. Wenn ich mich damit zufrieden gäbe, nicht der zu sein, der am meisten schreibt, würde es mir auch viel besser gehen.

 In der Einsamkeit muss alles mit Geruhsamkeit  und Weisheit angegangen werden, obschon wir wissen, dass viel Geruhsamkeit Tod bedeutet,  und Weisheit ohne die anderen ist unmöglich.

16

 Binnen kurzem werde ich den dümmsten Sätzen Düfte entreissen. Sie werden sich vor mir in Acht nehmen. Sie werden mir schon etwas bezahlen, damit ich still bin, und ich werde ein wenig still sein, gerade so still, um essen zu können und schlafen und dieser Unsinn mit der Liebe.

Das übrige: die Freiheit, der Tod werden Stilfragen sein, ein Aufheben der Zeit zwischen Gedicht und Gedicht. Die Interpretation, schliesslich, wird Schreiben sein, und es selbst wird interpretiert werden müssen, im richtigen Moment, wie die Hieroglyphen. Wie etwas nachgezeichnetes und zwar so nachgezeichnet, dass es obwohl Nachzeichnung, keine ist.

                                                                             17

Die grosse Reise hat begonnen. Ich sehe zwischen den Schatten, ganz sicher ein Licht aufsteigen, das niemand auslöschen wird. Aus Versen geschaffen.

 Niemanden interessiert besonders die Begegnung mit der Wahrheit. Alle wollen wissen, was mit dem Geld geschieht. Edel sind wir alle, sagen die Leute.

                                                                               18

 Werft den Raubtieren ein wenig verfaultes Fleisch hin und sie werden es fressen.

 Und so entstand in mir der Gedanke, Verse zu schreiben und so viele Leute wie möglich Verse schreiben zu lassen.

 Ich hoffe, die Seele der Dinge zu finden. Früher oder später wird es möglich sein, uns zu lesen, werden wir alle tot sein.

 19

  Du hast also beschlossen, dich im schönsten Augenblick von mir zu entfernen, von meiner dichterischen Laufbahn, das lässt mich an Neid denken.

 20

30. MAI 1985, MADRID

Liebe Mama,

                        dieser Eilbrief an Dich, um Dir zu sagen, dass mein Sohn Antonio am 20. Juni heiratet. Ich weiss wirklich nicht, was ich Dir sagen soll. Alles ist grösser geworden. Ich bin glücklich, dass Antonio seine eigene Familie gründen will.

Er und seine zukünftige Frau, Shula, sind sehr glücklich,  und das ist gut für alle. Binnen kurzem werde ich Grossvater sein, wie findest Du das?

Ich bin sehr aufgeregt, ich weiss eigentlich nicht genau, was man in so einem Fall macht. Zum erstenmal heiratet eines meiner Kinder. Hoffentlich kann ich mithalten.

21

  In diesem Ressort wird, wenn immer es möglich ist, ein Gedicht veröffentlicht, das von einem Teilnehmer der Workshops für Poesie der Gruppe 0 geschrieben wurde.

  WIE EIN HANDSCHUH AN DIE WIMPERN GEKLEBT

Wie ein Handschuh an die Wimpern geklebt,
sickert Schwerflüssiges aus meinen Schritten,
Liebesstürme mitten auf demWeg.
Ich verliere die letzte Vernunft, energische
Erdbeben reissen Masken und Lachen mit,
Und, sie bleibt in mir, intakt.
 
Erstarrt in leisem Schrecken
Versteckt gegen mein eigenstes Blut
In der universellen Parade des Scheins,
Pflastersteine und Kerker umfangen das Vergessen,.
entsetzlicher Wahn des rechtmässigen Schutzes.

 
Heute verlassen die Sterne ihren Lauf
In senkrechtem Auftrieb zu meinen Händen,
Und künden von einer Zeit des Friedens.
Verwirrt, in hartnäckiger Schrillheit,
wandernd und leichtfüssig, Omen der Freude ,
Verwandle ich meinen frühen Irrsinn
In gleissenden Atem des Raums.
Hybrid aus Verzeihung und Bitten,
Ich kratze treulich befestigte Klagen,
Löse mich auf im Rausch der Farben,
Jähe Rebellion des Schauerns,
Zentrum meiner Stimme. 
Verbrannter Dunst zwischen Knochen,
Verrat auf Jahrhunderte hin festgelegt
auf dieser Haut der Frau
Nackt zwischen rotem Mohn.

  CARMEN SLAMANCA GALLEGO

  Von der Autorin veröffentlicht:

                     ENTRE PALABRAS              NOCHES DE PIEL

                                              


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